Auf dem Weg zur Umsetzung des Staatsvertrags mit Deutschland warten zahlreiche Hürden und Probleme
Siebeneinhalb Jahre hat die Schweiz Zeit, um den neuen Fluglärm-Vertrag umzusetzen. Das klingt nach viel, doch ob es genügt? Es drohen jahrelange Prozesse bis vor Bundesgericht.
Markus Häfliger, Bern
Nachdem sich Verkehrsministerin Doris Leuthard mit ihrem deutschen Kollegen auf einen Fluglärm-Vertrag geeinigt hat, fängt die Arbeit für sie erst an. Damit die Schweiz den Vertrag umsetzen kann, müssen zahlreiche politische, rechtliche und planerische Hürden überwunden werden. Diese Prozesse sind derart komplex und umstritten, dass weder der Bund noch der Kanton Zürich oder der Flughafen derzeit irgendwelche zeitlichen Prognosen wagen.
Ratifikation des Staatsvertrages
Als Erstes muss nun der Vertrag von beiden Verkehrsministern formell unterzeichnet werden. Derzeit sei man mit den Deutschen auf der Suche nach einem Termin, heisst es im Departement Leuthard. Vorgesehen ist, dass der Bundesrat dann den Vertrag noch 2012 zur Ratifikation ans Parlament weiterleitet; dieses würde das Geschäft voraussichtlich 2013 behandeln. Wie das Parlament entscheiden wird, ist derzeit unabsehbar. Die Stimmung im Parlament wird von der Lärmverteilung abhängen.
Innerschweizerische Lärmverteilung
Aufgrund des Staatsvertrages müssen ab dem 1. Januar 2020 rund 20\'000 zusätzliche Flüge über Schweizer Territorium abgewickelt werden. Um die Frage, welche Region diesen Fluglärm übernimmt, ist bereits ein heftiger Streit entbrannt. Der Ostteil des Kantons Zürich wehrt sich gegen die Zunahme der Ostanflüge; der Aargau geht gegen die Einführung des gekröpften Nordanfluges auf die Barrikaden (NZZ 14. 7. 12). Das Gremium, das diesen Streit politisch lösen soll, ist die Begleitgruppe, der die betroffenen Kantone angehören (Zürich, Aargau, Thurgau, Schaffhausen, St. Gallen). Die Gruppe tagt gewöhnlich unter dem Vorsitz von Leuthard persönlich. Die nächste Sitzung werde «noch vor Ende des Sommers» stattfinden, sagt Leuthards Sprecher Dominique Bugnon.
Anpassung des SIL
Die Änderungen, die der neue Staatsvertrag und die noch auszuhandelnde Lärmverteilung mit sich bringen, werden rechtlich im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) festgehalten. Der SIL, das wichtigste Planungsdokument des Bundes für die Flughäfen, wird vom Bundesrat erlassen; Rechtsmittel dagegen gibt es nicht.
Neues Betriebsreglement
Gestützt auf den SIL muss der Flughafen voraussichtlich sein Betriebsreglement revidieren: Darin werden die neuen An- und Abflugregime im Detail verankert. Die Zürcher Kantonsregierung hat dabei ein Vetorecht; genehmigt wird das Betriebsreglement aber vom Bundesamt für Zivilluftfahrt. Dessen Entscheid können betroffene Kantone, Gemeinden, Anwohner oder Umweltverbände bis ans Bundesgericht weiterziehen. Bei der heute gültigen Version des Betriebsreglements dauerte alleine dieses Verfahren bis zum letztinstanzlichen Urteil aus Lausanne rund acht Jahre.
Pistenverlängerung
Der Flughafen muss sich auch baulich auf die neue Ära vorbereiten. Vorgesehen ist, die Piste 28 (für Landungen aus dem Osten) und die Piste 32 (für Starts nach Norden) zu verlängern. Die entsprechende Bewilligung ist zwar Bundessache; der Kanton Zürich hat aber auch hier ein Vetorecht. Im Unterschied zum Betriebsreglement entscheidet jedoch der Kantonsrat – und wahrscheinlich sogar das Volk. Fallen die Entscheide in Zürich positiv aus, kann der Flughafen ein Plangenehmigungsgesuch an das Departement Leuthard richten. Gegen dessen Entscheid stehen erneut Rechtsmittel bis ans Bundesgericht offen. Wie lange die eigentlichen Bauarbeiten dauern werden, kann der Flughafen derzeit nicht sagen. Das werde auch davon abhängen, ob beispielsweise nachts gebaut werden dürfe, sagt eine Sprecherin.
All diese Verfahren sind schon für sich gesehen komplex genug. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass die verschiedenen Entscheide teilweise miteinander verknüpft sind. So weigert sich der Zürcher Regierungsrat bis jetzt, für oder gegen den Staatsvertrag Position zu beziehen; zuerst wolle er das Ergebnis der inländischen Lärmverteilung kennen. Am Montag hat sich zudem der nationale Arbeitskreis Flugverkehr zu Wort gemeldet. Dessen Präsident, Nationalrat Filippo Leutenegger (fdp., Zürich), fordert, das Parlament dürfe den Staatsvertrag erst dann ratifizieren, wenn geklärt sei, wie der Fluglärm künftig genau verteilt werde.