Vertrag schützt vor Strafe nicht (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Mahnendes Beispiel Salzburg

Andreas Schürer

Die Schweiz und Deutschland sitzen nach längerer Blockade im Fluglärmstreit wieder am Verhandlungstisch. Bis im Sommer 2012 wollen Bundesrätin Leuthard und der deutsche Verkehrsminister Ramsauer einen Staatsvertrag ausarbeiten. Das ist zu begrüssen – Rechtssicherheit ist in diesem Dossier dringlich. Der Konflikt zwischen Österreich und Deutschland um den Flughafen Salzburg zeigt aber: Wer in der Schweiz harmoniesüchtig einen Staatsvertrag herbeiwünscht, verkennt die realpolitischen Machtverhältnisse. Ein Vertrag garantiert keine Ruhe. Deutschland ist jederzeit in der Lage, Nachverhandlungen anzusetzen.

Um nichts anderes als um Machtpolitik geht es. Ohne Landesgrenzen wäre die Nordausrichtung des Flughafens Zürich unbestritten, weil so am wenigsten Personen von Fluglärm betroffen wären. Deutschland misst offensichtlich mit zweierlei Ellen. Im Inland werden unzimperlich Flughäfen ausgebaut und Nachtruhezeiten verkürzt. Gegenüber dem Ausland dagegen greift Ramsauer mit harter Hand durch. Österreich hat er wie der Schweiz einseitige Massnahmen angedroht, obwohl das Salzburger Betriebs-Regime seit 1967 in einem Staatsvertrag geregelt ist. Die Bayern spüren den neuerdings starken Rückenwind aus Berlin und drohen ihren Nachbarn fröhlich mit «Daumenschrauben».

Die deutsche Folter-Rhetorik entlarvt: Die in der Schweiz oft gehörte Floskel, mit der Ratifizierung des von Moritz Leuenberger ausgehandelten Staatsvertrags hätten wir nun Ruhe, ist naives Wunschdenken. Keineswegs würde ein solches Vertragswerk davor schützen, weiter abgestraft zu werden. Im Gegenteil: Mit dem Staatsvertrag Leuenbergers wäre eine Beschränkung der Zahl der Anflüge über Süddeutschland als alleiniges Kriterium fixiert – und damit auch der unsinnige Ansatz, die Lärmbelastung mit Erbsenzählerei abzubilden. Unschwer vorzustellen ist, dass Berlin auf Druck Süddeutschlands an der Zahl herumschrauben würde. Das entsprechende Werkzeug ist ja offenbar auch in Salzburg zur Hand.

Trotzdem ist ein Staatsvertrag mit Deutschland wünschenswert. Er muss aber zwingend auch die tatsächliche Lärmbelastung reflektieren. Alles andere ist ein Diktat, das, einmal artig unterschrieben, nach Belieben «nachgebessert» werden kann.


Kleiner, aber näher an der Landesgrenze

Andere Situation als in Zürich

sho. ⋅ Salzburg ist bezüglich grenzübergreifenden Fluglärms in einer analogen Lage wie Zürich. Es gibt aber Unterschiede: Insbesondere weist der Flughafen Zürich in einem Monat mehr Flugbewegungen auf als Salzburg in einem ganzen Jahr. Dafür ist dort der Flughafen näher an der Grenze zu Deutschland (Karte). Das bayrische Freilassing liegt etwa so zur einzigen Piste wie das zürcherische Höri zur Landebahn 14. Beim Anflug auf Salzburg wird noch auf deutscher Seite die Sicherheitsdistanz von 300 Metern zum Boden unterschritten. Deshalb gibt es bereits seit den sechziger Jahren einen Staatsvertrag. Damals war Fluglärm noch kein so emotionales Thema. Der Vertrag enthält ein Nachtflugverbot von 23 bis 6 Uhr, aber keine weiteren Beschränkungen, wie sie Deutschland gegenüber Zürich verfügte. Einer Verschärfung setzen in Salzburg die nahen Alpen Grenzen, die Südanflüge nur beschränkt ermöglichen.

NZZ, 10.03.2012