Studiert man die Abstimmungsplakate, könnte man meinen, am 27. November würden die Weichen für die Zukunft des Flughafens Zürich gestellt. Ein Ja zu Initiative und Gegenvorschlag sichere die Wohnqualität, behaupten die Befürworter, während die Gegner befürchten, Zürich verliere in diesem Fall nichts weniger als den Anschluss zur Welt. Bei näherer Betrachtung muss man allerdings feststellen, dass weder das eine noch das andere Szenario eintreten wird, egal wie der Urnengang ausgeht. Das Zürcher Stimmvolk kann nämlich gar nicht abschliessend über die wichtigen Fragen der Flughafenentwicklung entscheiden. Dafür ist der Bund zuständig, der im Moment an der Schlussfassung des verbindlichen Sachplans Infrastruktur Luftfahrt (SIL) arbeitet. Darin werden Leitplanken definiert sein, innerhalb welcher der Flughafen dann bei Bedarf konkrete Pistenprojekte ausarbeiten kann.
Alles, was aus diesem kantonalen Urnengang resultieren wird, ist also ein politisches Zeichen, eine Aufforderung an die Kantonsregierung, sich im Sinne des Abstimmungsresultats einzusetzen. Die Befürworter der sogenannten Behördeninitiative möchten, dass dieses Signal heisst: Das Pistensystem des Flughafens darf nicht verändert werden. Damit, so argumentieren sie, verhindere man ein massives Wachstum des Flughafens und damit des Fluglärms. Dieser Wunsch ist verständlich, doch müssen sich die Initianten die Frage gefallen lassen, ob ihr Begehren nicht überflüssig ist. Gemäss geltendem Recht muss die Zürcher Bevölkerung zu jedem konkreten Pistenausbauprojekt befragt werden. Wieso also heute pauschal Nein sagen zu jeglicher Veränderung, ohne zu wissen, welche Bedürfnisse und Möglichkeiten die Zukunft bringt? Ein Pistenausbauverbot wäre zudem ein negatives Signal für Investoren, die langfristig denken. Sie könnten den Volksentscheid als Absage an einen leistungsfähigen Flughafen mit Zukunftsperspektive verstehen. Schliesslich ist auch die Behauptung, ein generelles Ausbauverbot bringe Planungssicherheit für die Gemeinden rund um den Flughafen, unzutreffend. Die Entwicklung in den letzten zehn Jahren hat zur Genüge gezeigt, wie unberechenbar die Flughafenpolitik ist. Die Einwohner im Süden des Kantons hatten sich seinerzeit auch nicht auf «Planungssicherheit» berufen können, als die Südanflüge eingeführt wurden, obwohl dies in keinem Richtplan so vorgesehen war.
Die Initiative ist nicht nur überflüssig, sie ist für den Süden des Kantons sogar schädlich. Im Moment gibt es nur wenige realistische Ausbauvarianten des Pistensystems in Kloten, darunter die Verlängerung der Ostpiste. Sie wird wahrscheinlich auch im SIL des Bundes enthalten sein. Eine längere Piste würde mehr Landungen von Osten her ermöglichen. Die Zahl der Südanflüge könnte dadurch reduziert werden. Neben dem gekröpften Nordanflug ist das die einzige Möglichkeit, den Süden in absehbarer Zukunft zu entlasten. Gerade dies würde aber bei Annahme der Initiative verunmöglicht. Es ist nicht zufällig, dass hinter der Behördeninitiative die Exekutiven aus 42 Gemeinden nördlich und östlich des Flughafens stehen. Ihnen geht es nicht nur um die «Planungssicherheit», sondern ebenso um die Zementierung des heutigen Anflugregimes, inklusive Südanflügen. Diesem Begehren ist deshalb eine klare Absage zu erteilen.
Des Weiteren kommt ein Gegenvorschlag zur Abstimmung. Die Bezeichnung ist allerdings irreführend, handelt es sich doch nicht um eine Alternative zur Hauptvorlage, sondern um eine Ergänzung. Im Flughafengesetz soll unter anderem zusätzlich festgeschrieben werden, dass sich der Regierungsrat für eine Rückkehr zum alten Anflugregime ohne Südanflüge einsetzt. Da er dies ohnehin tut – wenn auch erfolglos –, braucht es dafür keine zusätzliche gesetzliche Verankerung. Obwohl der Gegenvorschlag vom «Verein Flugschneise Süd – Nein» (VFSN) lanciert wurde, ist auch er abzulehnen. Wie die Hauptinitiative enthält er nämlich die Forderung nach einem Pistenausbauverbot.
ZSZ, 17.11.2011, Seite 18