Das Zürchervolk muss entscheiden, ob es sich gegen den Neu- und Ausbau von Pisten stellen oder sogar den noch schärferen Gegenvorschlag annehmen will. In den Parteien zeichnen sich heisse Diskussionen ab.
Andreas Schürer
Wie hast du\'s mit dem Flughafen? Erneut muss das Zürchervolk seine Haltung zu dieser fast schon zur Glaubensfrage gewordenen Thematik definieren. Am 27. November wird über zwei Vorlagen entschieden: zum einen über die von 42 Gemeinden im Osten, Norden und Westen des Flughafens eingereichte Behördeninitiative, die Neu- und Ausbauten von Pisten verhindern will. Zum anderen liegt das vom Verein Flugschneise Süd – Nein (VFSN) ergriffene Referendum mit Gegenvorschlag vor, das zusätzliche Einschränkungen des Flughafens verlangt. Damit werden die Stimmberechtigten zum dritten Mal innert vier Jahren mit einer Flughafen-Gretchenfrage an die Urne gerufen. Die zwei letzten Vorlagen haben sie deutlich abgelehnt: 2007 die Plafonierungsinitiative und 2009 die Verteilungsinitiative. Erstere verlangte eine Beschränkung der Flugbewegungen auf 250 000 pro Jahr und eine neunstündige Nachtruhe, Letztere eine ausgewogene regionale Verteilung der Starts und Landungen.
Zürcher Votum hat Gewicht
Der Ausgang der Behördeninitiative bedeutet eine wichtige Weichenstellung. Der Flughafen Zürich und die Luftfahrt sind zwar nationale Dossiers, das Zürcher Votum wird aber nicht ohne Weiteres übergangen werden können. Die Initiative verlangt, dass sich der Kanton Zürich dafür einsetzt, dass Neubauten und Ausbauten von Pisten unterbleiben – im Rahmen seiner Kompetenzen nach dem Raumplanungsrecht, aber auch als Flughafenaktionär und über seine Vertreter im Verwaltungsrat der Flughafen Zürich AG.
Die hinter dem Vorstoss stehende Absicht liegt auf der Hand: Die Gemeinden im Osten, Norden und Westen wollen verhindern, dass die Pisten 28 und 32 verlängert werden. Dies würde dem Flughafen ermöglichen, flexibler zwischen Betriebskonzepten mit Nord- und Ostanflügen sowie West-, Süd- und Oststarts zu wechseln. Zudem könnte ein Teil der Südanflüge ebenfalls von Osten her stattfinden.
Diese Pistenverlängerungen – vorgesehen in der Variante J opt – schlägt der Bund im Rahmen der langfristigen Flughafenplanung in einer der drei noch verbliebenen Betriebsvarianten vor. Bei einer Annahme der Behördeninitiative wäre J opt in diesem Sachplan Infrastruktur (SIL) Luftfahrt vom Tisch – ausser der Bund würde sich unter Berufung auf die nationale Bedeutung des Flughafens über den Kanton Zürich hinwegsetzen.
Der Gegenvorschlag des Vereins Flugschneise Süd – Nein geht über die Forderungen der Behördeninitiative hinaus. Nach ihm soll sich der Kanton Zürich nicht nur gegen Pistenbauten wehren, sondern auch gegen nach dem Jahr 2000 eingeführte Flugrouten, die über dicht besiedeltes Gebiet führen – sprich gegen die Südanflüge. Ebenfalls unterbleiben soll der Bau von Schnellabrollwegen, auf denen Flugzeuge nach der Landung schnellstmöglich die Piste verlassen können, damit der Verkehrsfluss nicht aufgehalten wird.
Zudem will der Verein Flugschneise Süd – Nein mit seinem Gegenvorschlag das Vetorecht der Kantonsvertretung im Verwaltungsrat der Flughafen Zürich AG ausbauen. Es soll nicht nur bezüglich Pistenausbauten gelten, sondern auch bei anderen Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Fluglärmbelastung, zum Beispiel bei Änderungen der Nachtflugsperre. Bei solch fluglärmrelevanten Entscheiden soll der Regierungsrat gemäss VFSN-Gegenvorschlag angewiesen werden, seiner Vertretung im Verwaltungsrat Weisungen zu erteilen, die der Kantonsrat in Form eines referendumsfähigen Beschlusses genehmigen muss.
Regierung und Rat uneinig
Die Diskussion über die beiden Vorlagen ist äusserst kontrovers. Uneinig sind sich etwa die Zürcher Regierung und der Kantonsrat. Die Regierung lehnt die Behördeninitiative ab. Nutzen und Lasten des Flughafens müssten aus einer Gesamtsicht und nicht nur aus dem regionalen Blickwinkel betrachtet werden, schreibt der Regierungsrat in der Abstimmungszeitung. Diese Gesamtsicht werde im SIL durch den Bund vorgenommen. Im SIL-Prozess habe sich gezeigt, dass gewisse Varianten mit Pistenverlängerungen lärmmässig günstiger abschnitten als Betriebsvarianten, die auf dem heutigen Pistensystem beruhen. Daher sei es sinnvoll, sich diese Optionen offenzuhalten. Die Initiative sei zudem unnötig, weil Pistenausbauten gemäss geltendem Recht ohnehin vom Volk genehmigt werden müssten. Auch den Gegenvorschlag des VFSN lehnt die Regierung ab.
Letzteres deckt sich mit der Empfehlung des Kantonsrates. Der Behördeninitiative hat er allerdings mit 100:64 Stimmen zugestimmt. Kernargument für die Zustimmung war, dass die Gemeinden rund um den Flughafen Rechtssicherheit bei ihrer Raumplanung erhielten: Die bauliche Entwicklung wäre nicht länger blockiert, um Betriebsvarianten mit Pistenausbauten offenzuhalten. Den Bedürfnissen des Wirtschaftsraums Zürich würde die heute vorgegebene Kapazität von 350 000 Flugbewegungen genügen.
Abweichler auf beiden Seiten
Auch innerhalb der Parteien sorgt die Abstimmung für heisse Diskussionen, weil die Haltung oft stärker vom Wohnort als vom Parteibuch geprägt wird. Die Parolen beschlossen haben erst die SP, die Grünliberalen und die EVP. Die SP und die Grünliberalen sagen zweimal Ja und bevorzugen bei der Stichfrage den Gegenvorschlag, die EVP sagt Ja zur Behördeninitiative und Nein zum Gegenvorschlag.
Abweichler gibt es vor allem in den Reihen von FDP und SVP, die wohl die doppelte Nein-Parole ausgeben werden. Die SVP hat aber zum Beispiel Ursula Moor in ihrer Parteileitung, die als Gemeindepräsidentin von Höri und Kantonsrätin einer der Motoren der Behördeninitiative ist. Auch die FDP ist nicht dagegen gefeit, dass manch freiheitlicher Blick regional eingetrübt wird: So hat etwa die FDP Nürensdorf die doppelte Ja-Parole ausgegeben.
Aber auch in der SP finden sich Abweichler: Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger, Präsident der Swiss-Luftfahrtsstiftung, setzt sich für ein doppeltes Nein ein. Beide Vorlagen gefährden laut Leuenberger die Stellung des Flughafens Zürich und könnten so auch der Swiss schaden (NZZ 7. 10. 11).