Baden-Württembergs Landesregierung und der Petitionsausschuss des Bundestags fordern eine schärfere Anflugbeschränkung über Süddeutschland. Zürcher Politiker sind verärgert.
asü. Zwischen der Schweiz und Deutschland laufen vertrauliche Gespräche auf Fachebene, die bis Ende Jahr Lösungen im Fluglärmstreit bringen sollen. Dessen ungeachtet baut die deutsche Seite öffentlich Druck auf. Zum einen fordert die neue grün-rote Regierung Baden-Württembergs eine Verschärfung der bestehenden Beschränkungen. Zum andern hat der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags einstimmig eine Forderung des CDU-Abgeordneten Siegfried Kauder unterstützt, die auch in Richtung einer Verschärfung zielt: Zusätzlich zu den bestehenden Anflugsperren soll die maximale Zahl der Anflüge über Süddeutschland von heute über 100\'000 auf 80\'000 beschränkt werden.
Zürcher Politiker sind empört, dass aus Berlin und Stuttgart die laufenden Gespräche torpediert werden – und fordern Regierungsrat und Bund auf, Härte zu zeigen. FDP-Kantonsrat Hans-Peter Portmann wird mit den Mitunterzeichnern René Isler (svp.) und Franco Albanese (cvp.) nach den Sommerferien die Regierung mittels einer parlamentarischen Anfrage auffordern, Gegenmassnahmen aufzuzeigen, mit denen «ausländischen Repressionen» begegnet werden kann. Portmann begründet den Vorstoss wie folgt: «Wir dürfen die Druckversuche nicht einfach hinnehmen.»
Tessin als Vorbild
Von der Zürcher Regierung erwarte er, dass sie eine aktivere Rolle einnehme, sagt Portmann. Konkrete Retorsionsmassnahmen sieht der FDP-Politiker einige. So könnte Gewerbetreibenden aus Deutschland erschwert werden, in der Schweiz Aufträge entgegenzunehmen, regt er an. Denkbar sei auch, die Mitsprache Deutschlands in der Diskussion um einen Atomendlager-Standort zu beschneiden oder Transitfahrten aus dem deutschen Raum zu beschränken. Wie man mit solchen «Schutzmassnahmen» etwas erreichen könne, habe der Kanton Tessin im Wirtschaftskonflikt mit Italien durch den Rückbehalt von Quellensteuern eindrücklich vorgemacht.
Auch die SVP reagiert scharf. Die Zürcher Stadtpartei schreibt in einer Medienmitteilung, sie habe die «Grossmachtallüren unseres Nachbarlandes auf Kosten einer ungleich grösseren Anzahl Menschen in Zürich und Umgebung satt». Stadtparteipräsident Roger Liebi sagt: «Dass die Landesregierung in Baden-Württemberg trotz laufenden Gesprächen drastische Verschärfungen fordert, kann nicht einfach mit der Faust im Sack hingenommen werden.» Auch er spricht sich dafür aus, Retorsionsmassnahmen ins Auge zu fassen.
Als «geladen» bezeichnet seine Stimmungslage Peter Reinhard, EVP-Kantonsrat und Mitglied im Verein Pro Flughafen. Neben Gegenmassnahmen müsse auch der gekröpfte Nordanflug wieder ein Thema sein. Für Thomas O. Koller, Vizepräsident und Geschäftsführer des Komitees Weltoffenes Zürich, erhalten die schon bekannten Forderungen aus Deutschland eine neue Intensität, da sie nun «in solch konsolidierter Form vorgebracht wurden». Die Schweiz müsse in den Gesprächen darauf beharren, dass der Lärm und nicht die Zahl der Flugbewegungen als Grundlage für die Verteilung der Belastung herangezogen werde. Sonst werde der technologische Fortschritt, der auch leisere Flugzeuge ermöglicht, ad absurdum geführt.
Die Südschneiser protestieren auf ihre Weise. An ihrer regelmässigen Mahnwache im Flughafen präsentieren sie ein neues Transparent: «Keine deutschen Flieger zu deutschen Sperrzeiten.» Es gehe nicht an, sagt Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein, dass Deutschland Beschränkungen verfüge – und gleichzeitig der Löwenanteil der Flüge von und nach Zürich auf das Konto des deutschen Lufthansa-Konzerns und der Air Berlin gehe.
Kernfrage ungeklärt
In der Zürcher Volkswirtschaftsdirektion reagiert man auf die deutsche Offensive gelassen. Der Kommunikationsbeauftragte Gregor Lüthy ist überzeugt, dass sich der Konflikt in den bisher konstruktiv verlaufenen Fachgesprächen nicht zuspitzen wird. In einer Kernfrage bestehen jedoch weiterhin Differenzen. Lüthy sagt: «Während Deutschland die Zahl der Anflüge über deutschem Gebiet begrenzen will, bevorzugt die Schweiz eine Lösung mit einer Lärm-Obergrenze.»
Keine schlaflosen Nächte bereiten die deutschen Drohgebärden auch Priska Seiler Graf, SP-Kantonsrätin und Stadträtin in Kloten. Sie mahnt aber: «Unsere Verhandlungsposition ist schwach, Deutschland sitzt am längeren Hebel.» Wer mit dem Finger auf die «bösen Deutschen» zeige, der verkenne, «dass wir mit der Fluglärmfrage in einer vertrackten Situation sind, die in der Schweiz gelöst werden muss».