Von Stefan Häne
Kloten/Bern – Egoistisch sei sie, die Schweiz. Diesen Eindruck hat Volker Kauder, Chef der CDU/CSU-Fraktion im deutschen Parlament. Im TA-Interview von gestern sagte er, die Schweiz verfolge zu oft nur ihre eigenen Interessen, so auch im Fluglärmstreit. Sie könne mehr Verständnis für die deutschen Anrainer zeigen. Die Bevölkerung in der Region Waldshut und Konstanz klage «sehr über die Fluglärmbelastung und die mangelnde Kooperation von Schweizer Seite». Kauder forderte ein «faires Geben und Nehmen».
Seine Aussagen kommen bei Zürcher Politikern nicht gut an. Man ist jedoch bemüht, kein Öl ins Feuer zu giessen – und zieht es vor, zu schweigen wie SVP Nationalrat Max Binder, Präsident der Verkehrskommission im Nationalrat. Ende März wird die Verkehrskommission eine Delegation des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestags empfangen. Dieses Treffen will Binder «nicht vorbelasten».
Nicht zufällig: Zur Sprache kommen wird die umstrittene Verteilung des Fluglärms im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet. Heute darf der Flughafen an Wochentagen zwischen 21 und 7 Uhr nur in wenigen Ausnahmefällen über deutsches Gebiet angeflogen werden, am Wochenende und an baden-württembergischen Feiertagen von 20 bis 9 Uhr. Deutlicher als Binder äussert sich Markus Hutter (FDP), Vizepräsident der Verkehrskommission. Er spricht von «Stimmungsmache», die er aber nicht überbewerten wolle. «Die Fakten sprechen eine andere Sprache», sagt Hutter in Anspielung auf die Fluglärmmessungen, die die Schweiz und Deutschland zusammen durchgeführt und 2009 veröffentlicht haben.
Kein Fluglärm ennet der Grenze
Das Resultat dieser Messungen: Die süddeutschen Anwohner am Hochrhein haben, rechtlich gesehen, keinen Fluglärm. Der vom Flughafen Zürich ausgehende Krach erreiche nirgends auf deutschem Staatsgebiet 60 Dezibel, also den nach deutschem Recht festgelegten Grenzwert. Die erfasste Belastung belief sich auf 53 Dezibel, was dem Lärmpegel eines Gesprächs entspricht. Im Grossraum Zürich hingegen leiden knapp 19 000 Personen unter Fluglärm über 60 Dezibel. Insgesamt sind auf deutschem Gebiet in den Tagesstunden rund 25 000 Menschen von Zürcher Fluglärm mit mehr als 45 Dezibel betroffen, auf Schweizer Gebiet sind es eine halbe Million. Nachts fällt der ganze Fluglärm ausschliesslich auf Schweizer Gebiet an.
Diese Fakten blendet Kauder offenbar genauso aus wie die Tatsache, dass Deutsche den Flughafen Zürich eifrig nutzen. Im letzten Jahr waren 16 Prozent der 21,9 Millionen Passagiere Personen mit Wohnsitz in Deutschland, 3,5 Millionen also (siehe Grafik). 2008 waren es ebenfalls 16 Prozent, 2007 19 Prozent. Hinzu kommt, dass ein Teil der knapp 25 000 Arbeitnehmer am Flughafen Zürich Deutsche sind. Wie viele genau, lässt sich bei 270 Firmen nicht so leicht eruieren. Eine Schätzung will der Flughafen nicht abgeben.
Problem: Termine finden
Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) möchte Kauders Aussagen nicht kommentieren. Verkehrsministerin Doris Leuthard (CVP) hat Anfang Jahr ihren deutschen Amtskollegen Peter Ramsauer getroffen – ohne offensichtlichen Erfolg. Im Gegenteil, die Bemühungen um eine Lösung des Zwists kommen nicht wie geplant vorwärts. Eine deutschschweizerische Arbeitsgruppe, auf Schweizer Seite geleitet von Bazl-Direktor Peter Müller, hätte bis Ende Jahr «Eckpunkte» einer einvernehmlichen Lösung präsentieren sollen; so wollte es die Politik. Dieses Ziel wurde jedoch verpasst. «Wir brauchen mehr Zeit», sagt Bazl-Sprecher Daniel Göring. Es sei schwierig gewesen, Termine für die Sitzungen der Arbeitsgruppe zu finden. Zudem habe die deutsche Seite «eine gewisse Zeit» gebraucht, um ihre Haltung zu definieren. Dass die bilaterale Arbeitsgruppe es nicht schafft, sich zu einem Lösungsvorschlag durchzuringen – diese Befürchtung teilt Göring «nicht unbedingt». «Wir haben die Bereitschaft festgestellt, Hand für eine tragfähige Lösung zu bieten.» Wann das Resultat vorliegen wird, kann Göring nicht sagen. Einen Zeitpunkt zu nennen, wäre «reine Spekulation». Göring betont aber das Interesse auf Schweizer Seite, «dass es in der Sache vorwärtsgehen soll».
Hoffnung auf Lösung schwindet
Wann das nächste Treffen zwischen Bundesrätin Leuthard und ihrem deutschen Amtskollegen ansteht, dazu äussert sich das Uvek nicht. Eine Sprecherin von Leuthard sagt nur, die Diskussion laufe nun auf Stufe der zuständigen Ämter der beiden Länder weiter. Derweil schwindet die Hoffnung auf einen Befreiungsschlag im «verkachelten» Dossier. «Ich befürchte, dass es keine Lösung geben wird», sagt Nationalrätin Jacqueline Fehr (SP). «Es gibt für deutsche Politiker keinen Grund, gegen den Willen der eigenen Bevölkerung der Schweiz entgegenzukommen.» Fehr verweist auf den Staatsvertrag, der im Nationalrat scheiterte, worauf Deutschland im Frühling 2003 die einseitigen Anflugbeschränkungen erliess. «Das war unser grösster politischer Fehler.»
Tages-Anzeiger, 25.01.2010, Seite 17
Siehe auch:
«Die Schweiz hat viele Freunde – unter ihnen auch die Kanzlerin» (TA)
10 Prozent Lärm für Deutschland (Leserbrief TA)
Kommentar VFSN: Frau Fehr will, wie alle Fans von Ex-Bundesrat Moritz Leuenberger, die Tatsache nicht zur Kenntnis nehmen, dass der Staatsvertrag nicht nur von Schweizer Seite, sondern auch von Deutschland (Länderkammer, entspricht dem Ständerat in CH) abgelehnt wurde. Dies zeigt mehr als deutlich, dass dieser Staatsvertrag von Beginn weg ein Fehlkonstrukt war.
Alle die mit der Thematik vertraut sind wissen, dass es auch mit Staatsvertrag zu Südanflügen gekommen wäre. Die Anflüge die am meisten weh tun, die morgendlichen Anflüge am Wochenende, würden auch mit Staatsvertrag stattfinden.