«DAS BAZL HAT SCHON 700 EINGABEN BEKOMMEN» (SZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Peter Müller, Chef des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, spürt die Wut der Anwohner des Flughafens Zürich. Nun macht er Druck auf Deutschland

VON ALICE CHALUPNY

Die Vernehmlassungsfrist für die langfristige Planung zum Flughafen Zürich läuft Ende Oktober ab. Wie viele Einsprachen haben Sie erhalten?
Rund 700. Insgesamt dürften es sicher über 1000 werden. Erfahrungsgemäss werden die meisten Stellungnahmen erst gegen Ende der Frist eingereicht.

Auch die Flughäfen Genf und Basel kommen noch in die Vernehmlassung. Brauchen Sie mehr Personal?
Ich werde deswegen sicher keine Aufstockung des Personals beantragen. Aber es ist schon eine Herkulesaufgabe, die wir vor uns haben.

Der Flughafen Zürich soll sich «nachfrageorientiert» entwickeln können, sagt das Bazl. Genau das stellen die Swiss und die Flughafenbetreiberin in Abrede. Zu Recht?
Der Flughafen Zürich hat zwar noch ein gewisses Wachstumspotenzial, aber dem sind Grenzen gesetzt. Der Flughafen befindet sich in unmittelbarer Stadtnähe und ist zu einem guten Teil von einem dichten Siedlungsgebiet umgeben. Daraus ergeben sich Limiten - räumliche und politische.

Die Swiss behauptet, dass Ihre Planung den Status quo zementiere und Zürich zum Provinzflughafen zu verkommen drohe. Alles nur politisches Säbelrasseln?
Wir können nicht ausschliessen, dass zusätzlicher Flugverkehr in Zukunft über Konkurrenzflughäfen wie München oder Wien geführt werden wird. Ich sehe der Entwicklung aber mit Gelassenheit entgegen, denn ich bin überzeugt, dass die Flughafenbetreiberin und gerade auch die Swiss als Hub-Carrier dank ihrer ausgezeichneten Performance der Konkurrenz die Stirn bieten können. Die begrenzten Möglichkeiten des Flughafens sind zugleich auch einer seiner Trümpfe: Als eine Art City-Airport kann er gegenüber ausländischen Flughäfen punkten.

Heute verfügt der Flughafen Zürich über drei sich teilweise kreuzende Pisten. Zwei parallele Bahnen würden die drohenden Kapazitätsprobleme weitgehend lösen. Doch der Kanton Zürich hat dieses Thema ad acta gelegt. Ein Fehler?
Aus flug- und sicherheitstechnischer Sicht macht eine Parallelpiste Sinn. Damit wären auch mehr Starts und Landungen auf dem Flughafen möglich. Aber gerade dies würde zu einer zusätzlichen Lärmbelastung und zu raumplanerischen Eingriffen führen, die der Kanton für nicht zumutbar hält.

Warum hat der Flughafen Zürich eine derart ineffiziente Infrastruktur?
Das habe ich mich auch schon gefragt (lacht). Zuerst wurden zwei sich kreuzende Pisten gebaut, damit die Flugzeuge bei wechselnden Winden jeweils in die richtige Richtung starten und landen können. Die dritte Piste, die zu einer Überschneidung im Luftraum führt, war offenbar eine raumplanerische Kompromisslösung.

Und jetzt kommen Sie wieder mit einem Plan voller Kompromisse.
Wir möchten auf die verschiedenen Bedürfnisse eingehen - wirtschaftliche, soziale und ökologische. Es ist klar, dass dabei kein Weg an Kompromissen vorbeiführt.

Ihre neue Chefin Doris Leuthard könnte die Parallelpiste wieder auf die Tagesordnung setzen. Wie realistisch stehen die Chancen, nachdem der Zürcher SP-Bundesrat Moritz Leuenberger abgedankt hat?
Das wird sich weisen (schmunzelt).

Für Zürich sind drei Betriebsvarianten vorgesehen. Für welche Lösung plädiert das Bazl?
Das Uvek hat eine Präferenz für «E», optimiert auf dem bestehenden Pistensystem, und für «J», optimiert auf einem System mit verlängerten Pisten, geäussert.

Bei der Variante «E optimiert» legt sich Deutschland mit seinen morgendlichen Sperrzeiten quer. Jüngst hat das Europäische Gericht in Luxemburg die deutsche Position bestätigt. Kämpfen Sie weiter?
Der Bundesrat wird in Kürze entscheiden. Wir bedauern, dass das Gericht zwar auf die Fluglärmargumente der deutschen Seite eingegangen ist, die viel grössere Belastung in der Schweiz aber nicht gewürdigt hat.

Das sehen die Deutschen sicher anders.
Ich weiss, wovon ich spreche: Ich war um sechs Uhr morgens in Gockhausen am Zürichberg. Und ich habe im Schwarzwald Wanderungen mit deutschen Exponenten in Sachen Fluglärm gemacht. Dass es in diesem Gebiet, das Süddeutschland als Naherholungsgebiet auch touristisch nutzt, Fluglärm gibt, soll man durchaus anerkennen. Aber die Lärmbelastung in der Schweiz ist sehr viel grösser, und es sind sehr viel mehr Menschen betroffen.

Nach einem ersten Treffen im April herrscht Funkstille zwischen den beiden Staaten. Wann verhandeln Sie weiter?
Deutschland hatte Mühe bekundet, einen weiteren Termin mit uns zu finden. Nun haben wir ein Datum für ein zweites Vorgespräch gefunden, wir treffen uns noch diesen Monat.

In Baden-Württemberg hat das umstrittene Hauptbahnhofprojekt «Stuttgart 21» zu massiven Protesten geführt. Jetzt wollen Sie auch noch mit mehr Fluglärm kommen?
Ich will nicht spekulieren, ob diese Vorkommnisse sich auf unsere Gespräche auswirken.

Was fordern Sie von Deutschland?
Wir wünschen eine Lockerung der deutschen Sperrzeiten, damit Nordanflüge zu jeder Tageszeit möglich werden. Vor allem auch in den Morgenstunden. Mit einer solchen Lösung könnten die sehr belastenden Südanflüge reduziert werden.

Dafür hätte der Osten wieder mehr Fluglärm, was zu neuem Widerstand führen würde.
Wir werden versuchen, das zu vermeiden.

Der Thurgauer Regierungsrat Jakob Stark schlägt vor, den Flughafen in Bundesbesitz zu überführen, um die Schweizer Verhandlungsposition zu stärken. Wie beurteilen Sie das?
Der Bundesrat hat in seinem luftfahrtpolitischen Bericht in Aussicht gestellt, dass er prüfen werde, ob der Einfluss des Bundes auf die Flughäfen verstärkt werden solle. Das Bazl hat dazu gewisse Vorarbeiten geleistet. Die neue Departementschefin wird über das weitere Vorgehen befinden.

Sonntagszeitung, 10.10.2010



siehe auch:
Sofort mitmachen - Stellungnahme zu SIL und kantonalem Richtplan (VFSN)
Bereits 700 Einsprachen im Rahmen der Flughafen-Planung (ZOL)