Swiss-Chef Harry Hohmeister warnt, dass immer schärfere Restriktionen seiner Airline schaden
von ALICE CHALUPNY
Seit Ende Juli gilt die verlängerte Nachtruhe. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt hat zugesagt, dem Flughafen Zürich bei Bedarf Betriebsverlängerungen zu erlauben. Hat die Swiss davon Gebrauch gemacht?
Bislang haben wir eine einzige Ausnahme benötigt. Aber es war ja auch Sommer. Es ist vollkommen unrealistisch, zu glauben, dass dies auf Dauer so stabil läuft. Im Winter gelten andere Bedingungen. Bei Eis, Nebel oder Schnee hier oder anderswo produziert allein der Flughafenbetrieb schon so viele Verspätungen, dass man abends kaum pünktlich an- und abfliegen kann.
Sie fordern längere Betriebszeiten?
Wir sollten uns alle wieder einmal ernsthaft fragen: Wollen wir hier in der Schweiz einen internationalen Flughafen oder nicht? Wenn wir unsere Flüge wegen der Nachtsperre umleiten müssen, nach Basel und Genf, dann gibt es dort wieder kantonale Proteste. Es braucht eine eidgenössische Lösung! Es macht wenig Sinn, dass eine Stadt oder ein Kanton über eine international genutzte Infrastruktur bestimmt. Einerseits sind alle froh, dass die Schweizer Wirtschaft so floriert, gleichzeitig aber unterbrechen wir die Reise- und Verkehrsströme, die wichtig für den Aufschwung sind. Das ist nicht logisch.
Werden wir doch konkret. Wo hat die Nachtruheregel der Swiss geschadet?
Die verlängerte Nachtruhe sorgt für verschiedenen Zusatzaufwand. Unter anderem führen wir Zusatzflüge durch, um die verspäteten Passagiere rechtzeitig auf unsere Interkontinentalflüge nach Zürich zu befördern. Ökologisch gesehen ist das nicht besonders schlau. Über 300 Kunden haben wir ihre Anschlüsse nicht mehr zur Verfügung stellen können. Darüber redet keiner. Diese Passagiere mussten wir umbuchen oder in Hotels unterbringen. Mich ärgert, dass wir unser Produktversprechen nicht halten können.
Was unternehmen Sie, wenn sich die Rahmenbedingungen verschärfen?
Im Extremfall wird das unseren Hub in Zürich infrage stellen. Wir werden unser Wachstum begrenzen müssen oder sogar schrumpfen. Natürlich, Swiss hat auch mit 18 Interkontinentalflugzeugen funktioniert. Aber nicht so gut wie heute, nicht wahr? Wir wollen eine gute Airline sein, mit höchster Qualität und den besten Produkten für die Schweiz. Das geht aber nur, wenn wir wachsen können, auch im Interesse des Standortes. Bei zu vielen Restriktionen werden die zunehmenden Verkehrsströme in Zukunft einfach nicht mehr über die Schweiz fliessen.
Droht Zürich zum Provinzflughafen zu verkommen?
Die Gefahr besteht, dass Verkehr abwandert. Es gibt Alternativen zu Zürich. Beim Start der Swiss war es ein Thema, was bei Konkurrenz-Hubs in München oder Wien geschieht, heute scheint das vergessen. Dabei hängt am Luftverkehr auch die Schweizer Exportwirtschaft, der Tourismus, die Finanzindustrie. Ich war auf der China-Reise von Wirtschaftsministerin Doris Leuthard dabei. Dort sagten mir zig Unternehmer, dass wir unbedingt Peking anfliegen müssten. Die Schweizer Wirtschaft will am Boom in Asien teilhaben. Und ich muss dann leider antworten, dass unser Heimatflughafen langfristig nicht die Kapazitäten dafür hat.
Derzeit liegt der Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt - kurz SIL - zur Vernehmlassung auf. Dieser Richtplan legt den Rahmen für die langfristige Gestaltung des Flughafens Zürich fest. Was halten Sie von den Vorschlägen?
Wenn in einer Richtlinienplanung für die nächsten 25 Jahre maximal der Status quo festgeschrieben wird, dann kann ich nicht behaupten, dass hier perspektivisch gedacht wird und ein grosser Wurf gelungen ist. Weltweit nimmt nicht nur der Wettbewerb im Mittleren Osten und in Asien rasant zu. Wir müssen auch feststellen, dass in Frankfurt gerade eine neue Startbahn gebaut wird. Und dass in München eine solche geplant ist, ebenso in Wien. Im europäischen Umfeld gibt es genug Länder und Regionen, die ihr Flughafenangebot ausbauen.
Swiss hat gerade für 1 Milliarde Franken neue Flugzeuge geordert. Wird das bereits für Engpässe sorgen?
Nein, diesen Ausbau werden wir noch in die bestehende Infrastruktur einbetten können. Und dabei ist mir wichtig: Bei unseren Investitionen nehmen wir die Belange der betroffenen Anwohner ernst. Wir investieren in eine lärmarme und ökologische Flotte. Das braucht es zum Ausgleich. Mit den neuen Maschinen von Bombardier, die ab 2014 unsere Avro-Regionalflotte ersetzen, sind wir Innovationstreiber in dem Bereich.
Wo muss der Flughafen 2025 stehen?
Im Idealfall überdenkt man das gesamte Pistensystem. Wir haben Pisten, die sich unnötigerweise kreuzen oder zu kurz sind für die heutigen Bedürfnisse. Das heisst, wir haben viel Infrastruktur mit zu wenig Nutzungsmöglichkeiten. Die Wirtschaft will wachsen, das Mobilitätsbedürfnis steigt, dagegen hat wohl auch keiner etwas einzuwenden.
Der gesamte Flughafen muss umgebaut werden?
Nein, aber es braucht die Möglichkeit für zwei parallele Bahnen. Das wäre eine konsequente Ausrichtung des Flughafens auf ein effizientes System wie an vergleichbaren Drehkreuzen. Wenn der SIL eine langfristige Planungsperspektive hätte, würde er auf ein solches Ziel hinarbeiten. Heute steht da nur ein erster Schritt drin - der aber bis 2025 gültig sein soll. In Wahrheit jedoch reicht uns der SIL bis 2015. Er greift also deutlich zu kurz. Ich glaube, dass bei diesem Prozess mehr das politisch Machbare der Gegenwart im Vordergrund steht als das ökonomisch und ökologisch Notwendige für die Zukunft.
Was muss der SIL aus Ihrer Perspektive zwingend beinhalten?
Parallelpisten, Verlängerung der Pisten 28 und 32, Schnellabrollwege, Südabflüge geradeaus zu Spitzenzeiten am Tag. Dann hätte man einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Keine der im SIL vorgeschlagenen Varianten sieht all diese Massnahmen vor. Wir werden das im Rahmen der Vernehmlassung so vorschlagen.
Doris Leuthard wird das Uvek übernehmen. Was halten Sie von der neuen Chefin?
Nach 15 Jahren tut ein Wechsel an der Spitze des Verkehrsdepartements gut. Positiv ist, dass die neue Chefin bereits über internationale Erfahrungen verfügt und aus dem Wirtschaftsdepartement kommt. Dieses Verständnis dürfte uns beim Thema Infrastruktur- und Luftfahrtentwicklung helfen.
Das Swiss-Verwaltungsratspräsidium ist nach dem überraschenden Tod von Rolf Jetzer vakant. Wer ist als Nachfolger im Gespräch?
In diesen Tagen laufen erste Sondierungsgespräche mit Bruno Gehrig, dem Präsidenten der Luftfahrtstiftung. Danach gibt es Gespräche mit der Lufthansa. Die Stiftung wird dann einen Kandidaten vorschlagen, mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Schweizer. Noch ist es viel zu früh, über Namen zu sprechen.
Swiss fliegt seit einigen Monaten direkt nach San Francisco. Wie läuft die Strecke?
Sehr gut - über unseren Erwartungen. Wir hatten zunächst Bedenken, dass der Winter schwierig werden würde. Aber das hat sich absolut nicht bestätigt.
Wie entwickeln sich die übrigen Strecken nach der Krise?
Sehr positiv ist die Entwicklung bei den Interkontinentalstrecken. Der Europa-Verkehr dagegen macht uns von den Durchschnittserträgen her noch Sorgen. Die Nachfrage stimmt wieder, aber die Erträge nicht.
Warum?
Auf den Interkontinentalstrecken sind die Kunden wieder in die Business- und die First Class zurückgekehrt. Im Europa-Verkehr dagegen sieht man diese strukturelle Erholung nicht. Die Passagiere sind in der Krisenzeit auf Economy umgestiegen und dort geblieben. Das muss uns Sorgen machen, denn das können wir nicht gross beeinflussen. Wenn die Firmenbudgets keine Businessflüge vorsehen, können wir mit Marketing oder Produktanpassungen nicht viel machen. Deshalb werden wir hier mittelfristig über Massnahmen auf der Kostenseite nachdenken müssen.
Wird der Europa-Verkehr im laufenden Jahr rote Zahlen schreiben?
Nein, wir rechnen mit einer schwarzen Null.
Wie wird das Gesamtjahr 2010?
Wir rechnen damit, dass wir deutlich über dem Ergebnis des Vorjahres liegen. So, wie sich die bisherigen Quartale entwickelt haben und was uns Buchungsbestände und Kostenentwicklungen sagen, deuten alle Indizien darauf hin. Wenn uns nicht wieder eine Aschewolke dazwischen kommt, eine Pandemie oder sonst eine akute Krise.
siehe auch:
Wird Zürich zum Provinzflughafen? (20min)
Panikmache (Tele Top)
«Man kann die Leute nicht umsiedeln, um Parallelpisten zu bauen» (TA)
Jammern auf hohem Niveau (NZZ)"