Buchs hat sich vor Gericht für eine Verlagerung des Fluglärms eingesetzt – und Recht erhalten. Allerdings zum eigenen Nachteil: Wird das Urteil umgesetzt, könnten die Flieger schon bald über Buchs donnern.
Florian Schaer
Flugzeuge, die auf der Piste 28 starten, fliegen nach dem Start eine Linkskurve. Ihre Route führt danach über das Buchser Industriegebiet. Der Punkt, an dem der Pilot die Kurve einleiten muss, ist genau definiert: 2,1 bzw. 2,3 nautische Meilen (etwa 3,9 bzw. 4,2 Kilometer) von der Funkstation (VOR) des Flughafens entfernt, je nach Navigationsstandard. Das war nicht immer so: Bis 1999 lag der Drehpunkt weiter von der Station entfernt – nämlich 2,5 Meilen.
Als eine von zahlreichen Forderungen für das neue Betriebsreglement des Flughafens haben unter anderem die Gemeinden Dällikon, Regensdorf und Buchs genau diese alte Distanz vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVG) zurückgefordert, denn: Seit 2000 belasten die Abflüge Watt, Adlikon und vor allem Dällikon stärker.
Zurück zur alten Distanz
Im Dezember hat das BVG entschieden: «Der Antrag auf Rückverschiebung des Abdrehpunktes auf den alten Zustand von 2,5 Meilen ist gutzuheissen.» Zahlreiche Parteien, darunter die Swiss und die Flughafen Zürich AG, haben beim Bundesgericht (BG) gegen das Urteil rekurriert. «Wir finden, es ist ein systematischer Fehler, wenn ein Gericht eine neue Flugroute definiert», erklärt Stefan Tschudin, als Jurist und Aviatikspezialist zuständig für die Verfahrenskoordination am Flughafen Zürich. Zumal dadurch die verfahrensmässig vorgeschriebene Prüfung der Lärmrelevanz einer solchen Änderung umgangen werde.
Das Bundesgericht aber verfügt im vergangenen April: Keine aufschiebende Wirkung, das Urteil des BVG sei umgehend zu vollstrecken. Würde in letzter Konsequenz alles umgesetzt, was im Urteil steht, läge der Drehpunkt schliesslich wieder gleich weit von der VOR-Funkstation entfernt wie früher – und die Gemeinden hätten ihr Anliegen erreicht.
Geometrie für Anfänger
Nur gibt es da etwas, was das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht berücksichtigt: Die VOR-Funkstation selbst ist nicht mehr am alten Ort.
«Als man das Dock E gebaut hat, musste die Anlage verschoben werden», sagt Tschudin. «Darum haben wir ja überhaupt die Distanz des Drehpunkts auf 2,3 Meilen reduziert: Damit er geografisch möglichst nah am alten Punkt liegt.» Es hört sich ein wenig an wie eine Geometrieaufgabe für Anfänger: Die neue Station liegt 280 Meter südwestlich des ehemaligen Standorts. Misst man die alten 2,5 Meilen von der neuen Station aus, wie es das Gericht nun verlangt, kommt der Drehpunkt ebenfalls westlicher zu liegen als 1999 – und die Flugzeuge drehen näher am Buchser Wohngebiet.
Anders gesagt: Die heute gültige Abflugroute mit dem Drehpunkt nach 2,1 Meilen entspricht viel eher der Route von 1999 als eine allenfalls neue Route mit Drehpunkt nach 2,5 Meilen. Was für Dällikon und Adlikon eher eine Entlastung bringen würde, wäre für Buchs wenig erfreulich. Manfred Hohl, Gemeindeschreiber von Buchs, will sich zu dieser komplexen Sachlage nicht äussern und verweist auf Peter Staub, den eben zurückgetretenen Präsidenten des Schutzverbands der Bevölkerung um den Flughafen Zürich. «Das Anliegen der Gemeinden war klar», sagt dieser. «Die Flieger sollen wieder übers Industriegebiet fliegen und nicht über das Wohngebiet.» Buchs habe sich wohl aus Solidarität mit Dällikon für die Sache eingesetzt. Mit dem jetzigen BVG-Urteil könnten die Buchser dafür schlecht belohnt werden.
Der Stein ist bereits angerollt
Eine gerichtliche Weisung ist zwar noch kein abschliessendes rechtskräftiges Urteil, hat aber zumindest bewirkt, dass sich das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) sofort an die Arbeit machen musste. Auf Anfrage von «ZU»/ «NBT» bestätigt Bazl-Sprecher Daniel Göring: «Die Abklärungen für eine Verschiebung sind eingeleitet worden.» Neben dem Bundesamt und dem Flughafen ist vor allem die Flugsicherung Skyguide involviert. Zum Zeithorizont sagt Göring: «Eine Verschiebung ist keine Sache von zwei Wochen, eher von Jahren.»
Auch die Flughafen Zürich AG lässt keinen Zweifel offen: «Selbstverständlich werden wir das Gerichtsurteil auch umsetzen», sagt Mediensprecherin Jasmin Bodmer. «Wir sind ja nicht grundsätzlich gegen eine Verschiebung. Es ist uns allerdings ein grosses Anliegen, dass die Konsequenzen einer solchen Verschiebung allen Betroffenen klar sind.»
Keine klaren Linien
«Man muss auch berücksichtigen», fügt Tschudin an, «dass Flugzeuge nicht auf den Meter genau der Route folgen.» Viele Piloten fliegen die Kurve ohne Autopilot, drehen etwas früher oder etwas später ab, innerhalb einer Sicherheitstoleranz. So verteilen sich zwischen Buchs und Adlikon die effektiv geflogenen Wege auf einer «Strasse» von mehr als einem Kilometer Breite. «Gleichzeitig aber merken Anwohner manchmal eine Änderung von wenigen Metern», weiss Tschudin. «Zum Beispiel, wenn die Flugzeuge mal rechts und mal links von einem Kirchturm vorbeifliegen.» Die Verschiebung des Punktes nur um einige Meter verschiebt den Luftkorridor von mehr als einem Kilometer Breite nach Westen – und die Wahrscheinlichkeit, dass ein Flugzeug Buchs direkt überfliegt, wird um einiges grösser.
«Durch den vom Gericht definierten Abdrehpunkt ist zu erwarten, dass Adlikon und Watt eher entlastet würden», sagt Tschudin. Dagegen würde die nach Westen verlegte Route näher an Buchs zu liegen kommen, weshalb dort eher eine Mehrbelastung zu erwarten wäre. «In einem so dicht besiedelten Gebiet kann man keine Änderungen in den Abflugrouten vornehmen, ohne dass es Mehrbelastungen für bestimmte Gebiete gibt», erklärt Stefan Tschudin.