«Luftraum wird eng» (TCS)

Publiziert von VFSNinfo am
Die Schweiz feiert 100 Jahre Zivilluftfahrt. Peter Müller, Direktor des zuständigen Bundesamts, über die Aschewolke, den Streit mit Deutschland und die Zukunft.

Heuer wird das Jubiläum «100 Jahre Schweizer Zivilluftfahrt» begangen. Ist die Aschewolke, welche die Luftfahrt zum Stillstand brachte, ein schlechtes Omen?
Peter Müller: Die Luftfahrt hat sich in diesen 100 Jahren sehr stark verändert. Zu Beginn war sie Sache einiger weniger Individualisten, jetzt ist sie ein Massenverkehrsmittel, denken Sie etwa an die grossen Lowcost-Fluggesellschaften. Trotz dieser Veränderungen hat die Luftfahrt immer noch etwas Abenteuerliches, und sie birgt Unwägbarkeiten. Die Luftfahrt musste in ihrer Geschichte immer wieder Rückschläge verkraften, machte aber auch gewaltige Technologiesprünge. Das wird so weitergehen. Die Aschewolke hat zwar die Luftfahrt stark getroffen. Im Vergleich zur Krise um die Jahrtausendwende mit mehreren Abstürzen (Swissair, Crossair, Red.) sind die Folgen dieses Ereignisses besser zu bewältigen. Insofern stehen die Zeichen auch für das Jubiläum der Schweizer Luftfahrt gut.

Als Aussenstehender hatte man das Gefühl, dass die Luftämter der europäischen Staaten nicht gerade optimal zusammenarbeiteten. Täuscht dieser Eindruck?
Zu Beginn haben wir – abgesehen von der Existenz der Wolke – über die Risiken, die sie beinhaltete, fast nichts gewusst. Niemand hatte eine Ahnung, wo genau die Grenzen der Wolke waren, wie dicht diese war und wie sich die Asche zusammensetzte. Es gab keinen wissenschaftlich fundierten Grenzwert für Flugzeug-Triebwerke beziehungsweise es konnte mit anderen Worten niemand exakt sagen, wie viel Asche diese ertragen. Gestützt auf eine derart rudimentäre Datenlage mussten wir Entscheidungen treffen. Für uns stand dabei immer die Sicherheit des Luftverkehrs im Vordergrund. Dass bei solchen Voraussetzungen die Behörden zum Teil unterschiedlich reagierten, ist verständlich. Umso mehr, als die meteorologische Situation in den einzelnen Ländern unterschiedlich war. Von Anfang an bestand ein intensiver Kontakt zwischen den Behörden der betroffenen Staaten. Zeitweise hatte ich mit meinen Amtskollegen der umliegenden Länder mehrmals täglich Kontakt. Sehr eng arbeiteten wir mit den Flugsicherungsunternehmungen zusammen. Diese Kooperation hat vor allem die Schweiz vorangetrieben. Wir versuchen nun, gemeinsame Vorgehensweisen für künftige Fälle zu erarbeiten.

Vergessen wir das jüngste Ereignis und wenden wir uns der Schweiz zu: Wie beurteilen Sie als Quereinsteiger den Zustand der Schweizer Zivilluftfahrt?
Die schweizerische Zivilluftfahrt ist insgesamt sehr konkurrenzfähig. Die Flughäfen Genf und Zürich werden regelmässig mit Preisen für ihre gute Leistung ausgezeichnet. Die grösste Fluggesellschaft, die Swiss, die in der Schweiz ein Drehkreuz betreibt, schreibt fast immer positive Zahlen. Das aviatische System insgesamt schafft – zum Teil hochqualifizerte – Arbeitsplätze sowie eine beträchtliche Wertschöpfung und schneidet im internationalen Vergleich sehr gut ab. Die Flugsicherungsgesellschaft Skyguide hat sich vom damaligen Schock erholt (wegen des Zusammenstosses bei Überlingen/D 2002, Red.) und gehört in Europa in Sachen Sicherheit und Leistungsfähigkeit wieder zu den Besten.

Aber nicht alle sind zufrieden...
In gewisser Hinsicht ist die Situation für die Luftfahrt schwieriger geworden. Der Luftraum ist knapp, die kommerzielle Luftfahrt und die Militäraviatik brauchen tendenziell mehr Platz, und es kommen immer neue Akteure hinzu. Die finanziellen Belastungen durch höhere Gebühren und der Aufwand durch neue internationale Regeln haben zugenommen. All das trifft die Geschäfts-, Freizeitund Sportfliegerei in besonderem Mass.

War es richtig, dass der Staat nach dem Grounding der Swissair Geld in die Swiss investierte?
Man weiss ja nicht genau, was gewesen wäre, wenn... Es gibt aber klare Hinweise – ich verweise auf die vorhin gemachten Ausführungen –, die deutlich machen, dass der Entscheid richtig gewesen ist. Nicht zuletzt durch die Hilfe des Bundes ist die Schweiz heute hervorragend an die ganze Welt angeschlossen.

Auf Ihrem Pult stapeln sich etliche problembeladene Dossiers. Da ist mal das Anflugregime für den Flughafen Zürich, wo uns Deutschland das Leben schwer macht. Besteht überhaupt noch Grund zur Hoffnung?
Wir haben einen neuen Anlauf genommen. Ich sehe eine echte Chance für eine Lösung. Wir haben erste Vorstellungen für eine künftige Regelung präsentiert, jetzt warten wir auf die Reaktion der deutschen Seite. Dort ist der deutliche Wille spürbar, mit dem Dossier vorwärts zu machen. Ende Jahr sollten die Eckpfeiler einer Lösung stehen. Deutschland hat anerkannt, dass die Ergebnisse der gemeinsam durchgeführten Lärmbelastungsanalyse eine Grundlage bei der Lösungssuche sein müssen. Das Gesprächsklima ist derzeit sehr gut.

Was besagt diese Lärmanalyse?
Sie hat ergeben, dass es auf der deutschen Seite zwar auch Fluglärm hat, dieser aber weder Grenzwerte nach deutschem noch nach schweizerischem Recht erreicht. Die Lärmbelastung über deutschem Territorium beträgt maximal 53 Dezibel, über der Schweiz sind es zum Teil über 80 Dezibel. Während in der Schweiz 80 000 Menschen mit einem Lärm über 53 Dezibel leben, ist in Deutschland keine einzige Person betroffen.

Ist dieser Gordische Knoten nicht gewissermassen auch das Resultat einer langen Arroganz und Ignoranz der Zürcher gegenüber Süddeutschland?
Es ist sicher nicht alles optimal gelaufen, aber ich schaue vorwärts.

Es gibt Stimmen, welche die Verantwortung für diesen wichtigsten nationalen Flughafen der Eidgenossenschaft übertragen möchten. Wären Sie glücklich darüber?
Eine Studie von Avenir Suisse zeigt in diese Richtung, und wir haben vom Bundesrat den Auftrag erhalten, diese Frage zu prüfen und Modelle zu entwickeln. Zurzeit ist aber offen, ob die Politik tatsächlich bereit ist, dem Bund mehr Einfluss auf die Landesflughäfen einzuräumen.

Stichwort nationale Flughäfen und Zürich: Hat Kloten angesichts des engen Korsetts langfristig überhaupt eine Zukunft?
Mit den heutigen Pisten beträgt die maximale Kapazität des Flughafens Zürich etwa 350000 Bewegungen im Jahr; heute sind es etwa 260000 Bewegungen. Es gibt also noch ein gewisses Entwicklungspotenzial. Aus Umweltschutzgründen können jedoch auf absehbare Zeit keine neuen Pisten gebaut werden. Zwischen 2020 und 2030 dürfte also das Potenzial des Flughafens ausgeschöpft sein, wenn der Flugverkehr weiterhin pro Jahr einige Prozente zunimmt.

Profitieren davon etwa Genf und Basel?
Das glaube ich nicht. Genf verfügt nur über eine Piste. Basel hat zwar noch gewisse Kapazitätsreserven, aber zurzeit ist es wenig wahrscheinlich, dass der Flughafen sich zu einem eigentlichen Drehkreuz entwickeln wird.

Haben die Regionalflughäfen unter dem Eindruck der grossen Flughäfen und der Globalisierung noch eine Überlebenschance?
Die Nachfrage und der wirtschaftliche Mehrwert für eine Region werden darüber entscheiden, ob die Regionalflughäfen längerfristig bestehen bleiben. Für sie wird das englische Sprichwort gelten: Use it or loose it (benütze oder verliere es, Red.)!

Speziell die Vertreter der Allgemeinen Luftfahrt sind unzufrieden mit Ihrem Amt; sie beklagen sich über eine Bürokratie, Papierflut und Überregulierung. Zu Recht?
Ich habe Verständnis für diese Klagen. Wie schon eingangs erwähnt – der Luftraum wird eng. Nachdem die ICAO (Internationale Zivilluftfahrtorganisation) schon viel geregelt hat, erlässt nun die Easa (europäische Agentur für Flugsicherheit) ein dickes, komplexes und teilweise schwer verständliches Regelwerk, dies in schnellem Rhythmus. Kleine Betriebe haben immer mehr Mühe, solche Bestimmungen, die vorab für die Grossfliegerei geschaffen wurden, zu verarbeiten. Uns ist es wichtig, bei der Easa auch die Anliegen der Kleinaviatik einzubringen.

Früher berappte der Bund die Ausbildung der Linienpiloten. Im Gegensatz zu anderen Ländern tut er dies längst nicht mehr. Ist dies im Hinblick auf einen möglichen Pilotenmangel nicht unverantwortlich?
Der Nationalrat hat einen Förderungsartikel ins Luftfahrtgesetz aufgenommen. Die Ausbildung der Piloten kann also vom Bund unterstützt werden. Aber von den grossen Airlines ist wegen eines möglichen Pilotenmangels nie ein Klagelied angestimmt worden und die Situation ist, so finde ich, nicht dramatisch. Im übrigen investiert der Bund jedes Jahr rund 5 Mio. Fr. in die Vorstufe zur Ausbildung der Militärpiloten; nicht wenige Teilnehmer wechseln dann in die zivile Aviatik, wodurch diese mit profitiert.

Wo steht man mit der Neuorganisation des Schweizer Luftraums?
Der Schweizer Luftraum ist stark strukturiert und deshalb sehr komplex. Gerade für Freizeitaviatiker ist dieser Zustand schwierig geworden. Der Luftraum muss deshalb neu konzipiert werden. Wir werden versuchen, ihn einfacher zu gestalten. Aber dieser Prozess steht erst am Anfang.

Und in Europa?
Single European Sky heisst die Vision der EU. Der europäische Luftraum soll aus einer Hand bewirtschaftet werden. Ein sehr ehrgeiziges Projekt. Es wird zu Veränderungen bei den nationalen Flugsicherungsunternehmungen kommen. Ziel der Schweiz ist, dass die Flugsicherung Skyguide auch in einem neu konzipierten europäischen Luftraum eine Rolle spielen wird. Wie diese Rolle und die Zusammenarbeit mit anderen Flugsicherungen aussehen wird, muss noch geregelt werden. Skyguide ist da sehr aktiv.

Besteht auch die Aussicht, dass die Passagiere sich beim Einchecken einmal wieder weniger schikanösen Kontrollen unterziehen müssen?
Das ist ein ständiges Thema. Die EU möchte bis 2013 die Einschränkungen für Flüssigkeiten im Handgepäck aufheben. Bis dahin gibt es hoffentlich Geräte, die feststellen können, ob es sich beim Inhalt einer Flasche um Mineralwasser oder Sprengstoff handelt. Grundsätzlich werden die Passagiere aber weiterhin Kontrollen erdulden müssen, denn die Luftfahrt ist und bleibt ein beliebtes Ziel für Terroristen.

Wohin fliegt die Schweizer Zivilluftfahrt?
Die Passagierzahlen werden wohl weiter steigen. Dank grösserer Flugzeuge werden die Flugbewegungen voraussichtlich aber nicht im selben Mass zunehmen. Die Flugzeuge werden sicher noch leiser und umweltfreundlicher. Wir werden über noch präzisere Anflugverfahren verfügen, wodurch die Lärmbelastung der Bevölkerung zusätzlich reduziert wird. Aber das Abenteuer Luftfahrt wird bleiben: Es werden immer wieder Pioniere mit neuen originellen Fluggeräten am Himmel auftauchen.

Interview: Heinz W. Müller

Touring 10/2010


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