Weniger Grenzen über den Wolken op-online)

Publiziert von VFSNinfo am
Langen ‐ Wer heute von Rom nach Amsterdam fliegt, bekommt weder die Alpen zu sehen, noch fliegt er über deutschen Boden. Dabei führte der direkte Luftweg eigentlich über den Norden Italiens, die Schweiz und dann ziemlich genau über Mannheim hinweg zur Hauptstadt der Niederlande.

Von Jens Dörr

Doch der Flug nach Amsterdam führt den Reisenden auf eine ganz andere, umständlich anmutende Route: Nach dem Start in Rom dreht die Maschine zunächst in westliche Richtung ab, passiert Nizza südlich und fliegt dann in nordwestlicher Richtung gen Lyon. Von dort geht es im Zickzack-Kurs weiter über den Osten Frankreichs, bevor die Maschine Belgien überfliegt und dann auf den Amsterdamer Flughafen Schiphol zuhält, nicht ohne kurz vor dem Ziel noch einmal von der direkten Route. 1300 statt 1000 Kilometer legt der Pilot zwischen Rom und Amsterdam also gezwungenermaßen zurück – und fliegt so ein Drittel der direkten Verbindung als Umweg.

Der durchschnittliche Umweg eines Flugs innerhalb Europas beträgt 50 Kilometer, was sich auf den ersten Blick noch nicht außergewöhnlich ausnehmen mag. Doch insgesamt kamen so allein im Jahr 2007 etwa 468 Millionen Kilometer zusammen, die eigentlich nicht hätten geflogen werden müssen, errechnete die in Brüssel sitzende Eurocontrol, eine internationale Organisation zur zentralen Koordination der Luftverkehrskontrolle in Europa. Pro Tag bedeutete das 5,4 Millionen Liter Kerosin, die alle Airlines im EU-Verkehr 2007 überwiegend unnötig verbrauchten. Ein Irrsinn, nicht nur wegen der Energieverschwendung, sondern vor alle auch wegen der Umweltbelastung.

Bundesregierung ist alleiniger Eigentümer

Eine Ursache für diese unnötige Vielfliegerei ist die ineffiziente Gestaltung des europäischen Luftraums. Hier gibt es noch einiges zu verbessern. Das weiß man auch bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) in Langen. „Wir müssen die Rückführung der Fragmentierung im europäischen Luftraum erreichen", nennt es Ralph Riedle, DFS-Geschäftsführer, etwas sperrig, jedoch treffend. Eine Aufgabe mit weitreichender Bedeutung: „Diese Entwicklung wird uns als Unternehmen stärker beeinflussen als die Privatisierung der Organisation", ist sich Riedle gewiss. Die DFS ging 1993 aus der Bundesanstalt für Flugsicherung (BFS) hervor und ist seitdem privatrechtlich organisiert. Alleiniger Eigentümer ist bis heute dennoch die Bundesrepublik Deutschland. Die DFS wirtschaftet als bundeseigene Verwaltung in Form einer GmbH.

Um Riedles Anliegen besser zu verdeutlichen, eignet sich gut der Vergleich des europäischen Luftraums mit dem US-amerikanischen. Beide sind nämlich etwa gleich groß. Während aber in den Vereinigten Staaten ein einziger Flugsicherungsdienstleister über 9,8 Millionen Quadratkilometer Luftraum wacht und den zivilen wie militärischen Flugverkehr in der Luft abwickelt, zeichnen in Europa nicht weniger als 47 Flugsicherungen für 10,5 Millionen Quadratkilometer Luftraum verantwortlich.

Bis 2012 sollen aus 47 acht Lufträume werden

Das bedeutet nicht nur eine Vielzahl von Standorten, Verwaltungen und IT-Systemen, sondern auch eine Vielzahl von Unterteilungen des europäischen Luftraums. „Ich würde gerne daran mitarbeiten, mich selbst wegzurationalisieren", sagt dazu DFS-Chef Ralph Riedle. „Single European Sky" (SES) heißt das Zauberwort. Es bezeichnet das wohl größte europäische Klimaschutzprojekt, das die Areale der Flugsicherungen, die wiederum aus vielen Sektoren bestehen, zusammenfassen soll. Ziel ist der „Functional Airspace Block" (FAB): Bis zum Jahr 2012 sollen aus derzeit 47 nur noch acht Lufträume werden. Daran arbeitet man auch in den Führungsetagen in Langen ambitioniert – das Gebiet der DFS würde ebenfalls integriert. Als Bestandteil eines FAB Zentraleuropa befände sich der deutsche Luftraum gemeinsam in einem Block mit dem französischen, dem belgischen, dem niederländischen, dem luxemburgischen und dem schweizerischen Luftraum.

Begeisterung würde die – noch lange nicht abgeschlossene – Zusammenlegung der Lufträume nicht nur bei Umweltschützern auslösen, sondern auch bei den Fluggesellschaften. Die Lufthansa verschwendet jeden Tag mehr als 400 000 Liter Treibstoff in Warteschleifen – und sogar 500 000 Liter Kerosin, weil der „Single European Sky" fehlt. Dagegen nehmen sich die täglichen, mühsam erreichten Einsparungen vom mit Abstand größten Nutzer des Frankfurter Flughafens bescheiden aus: Das papierlose Cockpit spart durch das geringere Gewicht etwa 4000 Liter Treibstoff pro Tag, die leichteren Sitze bringen insgesamt Einsparungen von 13 000 Litern. Doch selbst massive Einsparungen von 90 000 Liter pro Tag, die mit variablen Fluggeschwindigkeiten erreicht werden, würden durch das Fehlen des SES schnell aufgefressen, bemängelt etwa Flugkapitän Michael Jung, der bei der Lufthansa stellvertretender Leiter der Kontinental-Flotte ist.

1800 Lotsen koordinieren 2,93 Millionen Flüge

Anders gesagt: Gelingt die Neuordnung des europäischen Luftraums, dann fliegen die Maschinen direkter ans Ziel. Das spart den Fluggesellschaften und den Passagieren Zeit und Geld und freut auch die Natur.

Die Anzahl der Flüge selbst würde sich damit aber nicht verringern. Die gut 1800 Lotsen in Deutschland, die im vergangenen Jahr 2,93 Millionen Flüge koordinierten und gemeinsam mit den Piloten sicher an ihr Ziel brachten, würden nicht arbeitslos. Auch wenn sich im Langener Tower hinter vorgehaltener Hand mancher Lotse über die nicht immer ganz befriedigenden Arbeitsbedingungen beschwert, so gilt doch: Dieser Job ist sicher. Im vergangenen Jahr gab es zwar in Deutschland etwa sieben Prozent weniger An-, Ab- und Überflüge, weshalb auch die DFS ein „recht rigides Sparprogramm" (Riedle) fuhr. Die Einstellung von Lotsen blieb davon ausgenommen.

Sicherheit ist schließlich alles und um die ist es gut bestellt, versichert die DFS. Über den Wolken, wo die Freiheit ja grenzenlos sein soll, gab es im Jahr 2008 nach den Angaben der unabhängigen Expertenkommission Aircraft Proximity Evaluation Group (APEG) bei drei Millionen Flugbewegungen in Deutschland gerade einmal vier Annäherungen. „Nur einmal kamen sich dabei zwei Airlines nahe, in den restlichen Fällen waren es zum Beispiel eine Airline und ein Privatjet", sagt Axel Raab, Pressesprecher der DFS, der selbst auf 20 Jahre Erfahrung als Fluglotse verweisen kann. Als Annäherung gilt im Luftverkehr: Zwei Maschinen fliegen in zwei bis fünf Seemeilen (3,7 bis 9,25 Kilometer) horizontalem Abstand aneinander vorbei oder in 300 Metern vertikalem Abstand übereinander hinweg. Nur einmal sei 2008 ein solcher Fall auf einen Fehler der DFS-Lotsen zurückzuführen gewesen. Die Zahlen für 2009 hat die APEG noch nicht veröffentlicht. In Sachen Sicherheit hat speziell die Deutsche Flugsicherung also fast schon das Optimum erreicht. Ein gutes Beispiel also für die Aufgabe, den europäischen Luftraum sinnvoller für die Flugsicherung einzuteilen.

op-online, 15.02.2010