Von Alex Baur
Wenn der Zürcher Rechtsanwalt Dr. Andreas Knoepfel, Spezialist für internationales Flugrecht, in diesen Tagen Zeitungen liest, versteht er die Welt nicht mehr. Der Tages-Anzeiger etwa wirbt um Verständnis für die Süddeutschen. Zwar haben die Schwaben, wie nun offiziell bestätigt, gerade mal 0,4 Prozent des Zürcher Fluglärms zu tragen. Doch im Prinzip, so mahnt der Tagi, müssten sie nicht «einen einzigen Anflug» ertragen. In ähnlicher Tonlage berichten auch andere Medien über die Kompromissvorschläge, die das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BazI) neulich im Streit um den Flughafen vorlegte. Die Deutschen schalten auf stur. Der Waldshuter Landrat Tilman Bollacher sieht keinen Grund, «auch nur ein Jota entgegenzukommen», und fordert keck eine Ausweitung der Flugsperre.
Gemäss Knoepfel ist es aber genau anders herum: Die deutschen Flugbeschränkungen verstossen klar gegen internationales Recht. Doch niemand schreit auf. Dieselbe Schweiz, die das Völkerrecht im Zweifel stets über die eigene Rechtsordnung stellt, nimmt es ergeben hin, wenn sich Deutschland um internationale Vereinbarungen foutiert. Das sehen nicht nur Schweizer Aviatiker so. Ein halbes Dutzend deutsche Fachjuristen kamen in dieser Frage einhellig zu einem klaren Schluss: Das deutsche Flugverbot ist illegal.
Bereits im Jahr 2001 stellten die deutschen Aviatik-Juristen Rüdiger Wolfrum, Natalie Lübben und Stefan Ohlhoff klar, dass die deutsche Blockade ohne Wenn und Aber gegen mehrere internationale Vereinbarungen verstosse. Das Flugverbot gegen die Schweizer Nachbarn ist weltweit ein Unikum. Würde sich die Praxis durchsetzen, würden kleine Länder wie Luxemburg, Singapur oder Gibraltar, aber auch grenznahe Städte wie Salzburg, Basel oder Genf vom Luftverkehr abgeschnitten.
Seit 1944 garantieren das Abkommen von Chicago, gleichsam die Mutter aller Luftfahrtgesetze, und das genannte Transitabkommen im Besonderen das Recht zum freien «Überfliegen» jedes Vertragsstaates. Beschränkungen bezüglich Flughöhe und Lärm sehen die Abkommen, die auch Deutschland ratifiziert hat, nicht vor. Das Recht auf den freien Überflug wurde im Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweiz und der EU von 1999 bekräftigt. Wie die Fachjuristen weiter feststellen, verletzen die Flugbeschränkungen, die für deutsche Flughäfen in diesem Ausmass undenkbar wären, auch das im Rahmen der bilateralen Verträge vereinbarte Diskriminierungsverbot. Ein Jahr später bestätigte Dr. Joachim Bentzien in einer Publikation des Instituts für Luft- und Weltraumrecht der Universität Köln den klaren Befund. Die Flugsperre sei auch unter dem Aspekt des internationalen Umweltrechts nicht zu rechtfertigen, zumal der süddeutsche Raum beim Ausbau des Zürcher Flughafens in die Umweltverträglichkeitsprüfungen mit einbezogen wurde.
«Die einseitigen Massnahmen Deutschlands gegenüber der Schweiz», so schliesst Bentzien sein Gutachten, «widersprechen auch dem in der Satzung der Vereinten Nationen verankerten Prinzip der friedlichen Streitbelegung.» Zum gleichen Schluss kam 2003 Professor Dr. Diemut Majer aus Karlsruhe, die ihrer Regierung «imperiale Attitüden» vorwirft: «Die Restriktionen verstossen auch gegen Artikel 17 (des EU-Luftverkehrsabkommens), da sie langfristig den Luftverkehr in Zürich "abwürgen" werden.» Salopp ausgedrückt: Deutschland betreibt unlauteren Wettbewerb zugunsten eigener Flughäfen.
Völkerrecht nur eine Empfehlung?
Die Schweiz hat beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg eine Klage eingereicht. Als Gegenpartei fungiert die EU-Kommission. Ob sich die Eurorichter gegen die Interessen ihres Brotgebers entscheiden, ist eher eine machtpolitische denn eine rechtliche Frage. Eilig hat man es auf jeden Fall nicht. Seit 2004 ist das Verfahren in Luxemburg hängig, kürzlich wurden die Plädoyers der Parteien angehört. Selbst wenn der Grundsatzentscheid des EuGH einmal vorliegt, ist offen, was die deutsche Justiz daraus macht.
Wie der Fall zeigt, ist auf internationale Vereinbarungen nur bedingt Verlass. Die meisten Länder behandeln das Völkerrecht, anders als die Schweiz, eher wie eine Empfehlung, die man von Fall zu Fall berücksichtigt. Es wäre fahrlässig, wenn die Schweiz sich allein auf die EU-Justiz verlässt. Recht haben und recht bekommen ist bekanntlich nicht dasselbe. Umso wichtiger wäre es, die eigenen Interessen auf allen Ebenen mit Nachdruck zu verteidigen.
Es liegt auf der Hand, dass dem «Klimaminister» Moritz Leuenberger - bekanntlich kein Freund der Fliegerei, sofern er nicht selber fliegt - die deutsche Flugsperre nicht ungelegen kam. Doch hier geht es um eine politische Frage von nationalem Interesse, für die letztlich weder Leuenberger noch das Bazl zuständig ist, sondern die Gesamtregierung. Es ist unbegreiflich, warum der Bundesrat das Dossier nicht schon lange dem Aussenministerium übertragen hat. Statt bei den internationalen Gremien - etwa bei der Aviatik Organisation ICAO - Druck aufzubauen und Verbündete zu suchen, veröffentlicht das BazI Kompromissvorschläge, bevor überhaupt verhandelt wird. Statt Retorsionsmassnahmen - etwa eine konsequente Umsetzung der Alpeninitiative - gegen die völkerrechtswidrige Blockade aus dem Norden in Aussicht zu stellen, spielt man die Fluglärmbetroffenen in der Schweiz gegeneinander aus. Für einmal lachen die Deutschen zu Recht über die dämlichen Kuhschweizer.
Weltwoche, Ausgabe 52/53, 2009, Seite 11