Von Erwin Haas
Die Behauptung, die Schweiz würde den Fluglärm des Flughafens Zürich systematisch nach Deutschland auslagern, habe sich als haltlos erwiesen, teilte die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion gestern aufgrund einer Studie mit. Der vom Flughafen ausgehende Fluglärm erreiche nirgends auf deutschem Staatsgebiet die nach deutschem Recht festgelegten Grenzwerte von 65 bzw. 60 Dezibel. In der Schweiz dagegen sind von diesen Werten 18\'700 Personen betroffen. Nachts fällt sogar der ganze Fluglärm ausschliesslich auf Schweizer Gebiet an. Deshalb müsse Deutschland nun die Anflugsperre in den Morgen- und Abendstunden zurücknehmen, fordert Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer (SVP).
Deutschland hatte die jahrzehntelang benutzten Anflugschneisen über Waldshut und Hohentengen 2003 für die Randstunden gesperrt und die neue Flugordnung in einem Staatsvertrag festgelegt. Dafür hatten die Regionalpolitiker am Hochrhein im Interesse ihrer Wählerschaft lange gekämpft. Seither wird die Zürcher Bevölkerung in der Ost- und der Südanflugschneise in den Sperrzeiten durch den Lärm landender Flugzeuge eingedeckt.
Eine von schweizerischen und deutschen Experten erarbeitete Studie aufgrund der Fluglärmdaten von 2007 hat nun ergeben, dass eine Lärmbelastung der süddeutschen Bevölkerung nach gesetzlicher Lesart gar nicht existiert. In der Schweiz hingegen leiden 18\'772 Personen unter Fluglärm über 60 Dezibel. In Süddeutschland setzt die erfasste Belästigung bei nur 53 Dezibel ein, dem Lärmpegel eines Gesprächs am Küchentisch und rund die Hälfte des Maximalgrenzwertes. Betroffen sind 80 Personen. Peter Müller, Direktor des Bundesamtes für Zivilluftfahrt, stellte die Studie gestern in Bern vor. Er sagte, sie liefere wissenschaftlich fundierte Daten, die auch Deutschland anerkenne, und diene als Basis für neue Verhandlungen.
20-mal mehr Zürcher betroffen
Insgesamt sind auf deutschem Gebiet in den Tagesstunden rund 25\'000 Menschen von Zürcher Fluglärm mit mehr als 45 Dezibel betroffen. Auf Schweizer Gebiet betrifft es eine halbe Million. In den Nacht-Schutzzonen ist in Deutschland niemand betroffen, in der Schweiz sind es knapp 13\'000 Personen.
Auch die Zahl der Lärmbetroffenen im Jahr 2024 wurde erhoben. Ausgehend von der Erwartung, dass der Flughafen Zürich in 15 Jahren die maximal mögliche Zahl von 350\'000 Starts und Landungen ausschöpft, wären selbst dann immer noch keine süddeutschen Einwohner von relevantem Fluglärm betroffen. In der Schweiz wären es knapp 25\'000 Personen. Bei gleich bleibenden Routen und Flugzeugtypen würde der Dauerschallpegel im gesamten Flughafenumfeld um 1,15 Dezibel steigen.
Aufgebrachte Proteste
Vielleicht ist es ein Zufall, dass die neuste Studie zum Fluglärm am Flughafen Zürich gestern Freitag vorgestellt wurde – am sechsten Jahrestag der Einführung der Südanflüge. Die «Südschneiser» haben auch gestern wieder aufgebracht dagegen protestiert. Andererseits bestärkt sie die Studie, ihre Forderung zu wiederholen: Die Schweiz müsse das Fluglärmdossier bei der neuen deutschen Regierung wieder auf den Tisch bringen. Das verlangen auch das Fluglärmforum Süd von 35 Gemeinden im Süden des Flughafens und der Verein Bürgerprotest Fluglärm Ost.
Die IG Nord von 38 Gemeinden nördlich des Flughafens ist weiter gegen alle Vorhaben, den Flugverkehr über dem Norden zu kanalisieren. Der Landshuter Landrat Tilman Bollacher, der Süddeutschland bei der Studienanalyse vertrat, beharrt auf den deutschen Sperrzeiten und legt eine alte Forderung vor: Mehr als 80\'000 Anflüge über den Rhein pro Jahr dürften es nicht sein. Und der gekröpfte Nordanflug, mit dem die Schweiz das alte Flugwegregime möglicherweise wieder herstellen will, sei tabu.
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siehe auch:
Gemeinsame Lärmanalyse zum Flughafen Zürich: Ergebnisse liegen vor (BAZL)
Deutsch-schweizerische Fluglärmanalyse liegt vor (NZZ)
Fluglärmanalyse überrascht (Landbote)
Zürich verlangt Ende der deutschen Schikanen (20min)
Die Südanflüge auf Kloten müssen weg (NZZaS)
Anflüge aus dem Norden sollen Süd- und Ostanflüge ersetzen (Leserbriefe TA)