Regierungsrätin Fuhrer sieht das klare Nein zur Fluglärmverteilung nicht als Votum für Kanalisierung. Gleichzeitig warnt sie vor einem Pistenbauverbot und empfiehlt der Stadt Zürich eine bessere Baustellen-Organisation.
Frau Fuhrer, welche Schlüsse ziehen Sie aus dem Debakel der «Fairflug»-Initiative?
Die Politik der Regierung wurde bestätigt, wir sagen seit langem, dass eine gewisse, aber keine vollständige Konzentration des Lärms nötig ist. Für die Anwohner im Osten ist die Situation insofern unbefriedigend, als sie vor dem Jahr 2000 nur bei starkem Westwind Fluglärm hatten.
Es gibt Pläne, den Osten noch stärker zu belasten. Ist das «Fairflug»-Resultat ein Plädoyer für stärkere Ostausrichtung?
Nein, das lese ich nicht daraus. Dieses Mal ging es nur darum, ob man den Osten zulasten anderer Regionen entlasten soll. In den anderen Regionen konnte man berechnen, dass weniger Lärm im Osten mehr Lärm im eigenen Gebiet bedeuten würde.
Aber die Zürcher Regierung will weiterhin eine Pistenverlängerung?
Ja, ich werde der Regierung empfehlen, diese Haltung im (nationalen Raumplanungsprozess) SIL beizubehalten. Es geht um die Planung für die nächsten 25 bis 30 Jahre, und man darf nicht so blind sein und den künftigen Generationen jegliche Möglichkeit zum Planen verbauen. Die Mobilität wird weiterhin wachsen, und hier muss ein Vorwärtsschreiten möglich bleiben.
Die nächste Abstimmung steht mit dem Pistenbauverbot kurz bevor. Wie beurteilen Sie die Chancen dieser Vorlage?
Diese Vorlage geht weiter als die «Fairflug»-Initiative. Es geht um eine Entwicklung am Flughafen, der man misstraut. Zwar kann der Souverän nichts endgültig entscheiden, trotzdem ist die Gefahr gross, dass sich die Stimmbürger der Tragweite für den Flughafen nicht bewusst sind. Ich finde es populistisch, die Bevölkerung immer wieder mit derartigen Vorstössen an die Urne zu bemühen. Das sah man auch im Kantonsrat, dort gab es einige Volksvertreter, die vor allem aus politischer Opportunität Ja sagten zum Pistenbauverbot.
Der Abstimmungskampf wird wohl in die Übergangszeit zwischen der Wahl Ihres Nachfolgers und Ihrem Abtritt fallen. Wer wird ihn bestreiten?
Voraussichtlich hauptsächlich ich, falls die Abstimmung wirklich im Juni 2010 stattfindet. Es braucht eine langfristig angelegte Informationsoffensive. Man kann die Bevölkerung nicht unmittelbar vor einer Abstimmung überzeugen, dazu müsste man dann mit emotionalen Argumenten arbeiten. Das ist sehr verlockend, aber nicht seriös.
Demnächst folgt der Bericht zum Zürcher Fluglärmindex (ZFI) 2008. Ist der Richtwert überschritten worden?
Ich sage es Ihnen im November.
Nehmen wir an, die Obergrenze der stark Fluglärm-Belästigten sei erreicht. Welche Massnahmen werden geprüft?
Es werden Massnahmen geprüft, die erst in zwei, drei Jahren greifen, man wird Geduld haben müssen. Der ZFI ist nicht ein Instrument, das sofort wirkt.
Man könnte ja auch an der Berechnungsmethode etwas verändern.
Ich bin im Moment der Meinung, dass man nicht am ZFI schrauben muss, gerade weil es ein Richtwert ist. Man muss aber die Bevölkerungsentwicklung in den flughafennahen Regionen beachten. Sie belastet den ZFI massiv.
Heisst das, dass das Bevölkerungswachstum im ZFI nicht mehr zählen soll?
Nein, ich möchte zeigen, wie schizophren das Ganze ist. Einerseits übt die Region dank Flughafen grosse Anziehung aus, andererseits hängen schon an den Baugerüsten Plakate der Fluglärmgegner.
Die Gemeinden beklagen sich, dass sie als Sündenböcke für die Richtwert-Überschreitung hinhalten müssen.
Da gibt es Gemeinden, die nichts anderes im Sinn haben, als zu wachsen, die bauen wollen, sogar mit Quartierplänen. Beispiele dafür sind Bassersdorf, Höri und Stadel. Dieser Bauboom ist vor allem dem Flughafen zu verdanken. Ich würde den Gemeindebehörden dringend anraten, mit diesen unausgewogenen Äusserungen aufzuhören, das grenzt manchmal an Hetzerei.
Stellen Sie auch fest, dass der Zürcher Fluglärmkonflikt an Emotionalität und Dringlichkeit eingebüsst hat?
Ja, das spüre ich ganz deutlich. Es gibt bei den Kritikern einen harten Kern, der noch da ist. Aber die Intensität und die Aggressivität der Proteste haben eindeutig abgenommen.
Auf was führen Sie dies zurück: Ermüdung oder Sachzwänge?
Ich glaube nicht, dass es einfach nur Ermüdung ist, das wäre nicht gut. Das würde bedeuten, dass man nur hartnäckig genug sein muss, damit die Menschen nachgeben. Die Gründe sind vielmehr die verbesserte Information der Bevölkerung und die krisenbedingte Einsicht in die Notwendigkeit von Verkehrsinfrastrukturen.
Deutschland hat gewählt. Wagen Sie irgendeine Prognose bezüglich der Auswirkungen auf den Fluglärmkonflikt?
Das kann schon Auswirkungen haben. Dadurch, dass CDU/CSU und FDP in beiden Kammern klare Mehrheiten haben, müssen sie nicht um einzelne Abtrünnige buhlen. Für uns war sehr negativ, dass die damalige SPD-Regierung auch CDU-Stimmen brauchte. Deshalb musste sie regionale Interessen berücksichtigen und Überflugverbote verhängen. Ich bin übrigens auch sehr optimistisch, was das in Luxemburg am EU-Gericht hängige Verfahren betrifft. Dort haben sich die Richter ausnehmend viel Zeit genommen, um die Rechtmässigkeit der deutschen Einschränkungen zu prüfen.
Sie sind ja auch für die überfüllten S-Bahnen zuständig. Was haben Sie den Pendlern zur Entlastung zu bieten?
Der neue Zürcher Durchgangsbahnhof kann dank der Vorfinanzierung durch den Kanton rechtzeitig eröffnet werden. Dafür bin ich sehr dankbar, denn ohne den Ausbau dieses Knotens nützen alle anderen Massnahmen gar nichts. Zudem sind wir daran die 4. Teilergänzung der S-Bahn aufzugleisen. Hier gibt es noch offene Fragen bei der Finanzierung durch den Bund. Dieser sollte übrigens auch endlich die Finanzierungszusage machen, um die grossen Bahnhöfe behindertengerecht umzubauen. Man sollte zudem versuchen, in den überfüllten Zügen dafür zu sorgen, dass die Menschen nicht alle auf der ersten Plattform stehen bleiben, sondern auch in den Wagen hineingehen. Aber auf den garantierten Sitzplatz muss der Pendler verzichten – die kurzen Pendlerstrecken kann man auch im Stehen machen.
Die Autofahrer dürfen noch sitzen, allerdings oft im Stau. Vor allem die Stadt Zürich steht wegen «Barrikaden» in der Kritik. Sind Sie auch für eine Bevormundung der Städte durch den Kanton?
Man darf nicht der Illusion verfallen, dass sämtlicher Verkehr in der Stadt Zürich von aussen generiert wird. Dafür muss die Erkenntnis in der Stadt Zürich noch wachsen. Gerade die Verschiebungen innerhalb der Stadt werden hier immer noch bestritten. Andererseits sind diese Ausbauten nicht nur Ausdruck von Wohlstand, sie wirken zeitweise auch verkehrsbehindernd. Mit optimaler Baustellen-Organisation könnte man noch einiges verbessern. Grosse Strassenprojekte mit Kosten von über 3 Millionen Franken sollten im Übrigen künftig wieder dem Kantonsrat vorgelegt werden.
Wie sieht es aus bei der Realisierung der Oberlandautobahn?
Ich möchte diese gerne 2016 einweihen, auf dem Rennrad, aber vielleicht muss ich noch ein Jahr länger trainieren.