Von Wilma Hahn
Forch. – Es ist Punkt 10 Uhr am Sonntagmorgen, als Matthias Augustin am Flughafen Zürich in der Abflugshalle beim Check-in 2 Stellung bezieht. Er trägt Jeans und ein knallgelbes T-Shirt mit der Aufschrift «Flugschneise Süd Nein». In der Hand hält er einen Ballon in derselben Farbe, mit demselben Spruch. Matthias Augustin nimmt an der Mahnwache des Vereins Flugschneise Süd Nein – kurz VFSN – teil. Der 43-jährige Familienvater von der Forch ist mit dem Zug angereist: «Aus Prinzip», wie er erklärt. Er weigere sich, dem Flughafen durch das Bezahlen von Parkgebühren Geld abzuliefern. Der Oberländer betont allerdings, keinen generellen Groll gegen den Flugbetrieb zu hegen. Als Augustin früher noch in einer internationalen Informatikfirma tätig war, hat er für Geschäftsreisen häufig ein Flugzeug bestiegen. Heute arbeitet er als selbstständiger Coach in der Burn-out-Prävention und hebt in den grossen Vögeln nur noch selten ab.
Nein. Matthias Augustins Problem mit Flugzeugen ist anderer Natur: Sie donnern seit Herbst 2003 direkt über sein Haus. Augustin ist ein sogenannter Schneiser – ein Mensch, der in einer Flugschneise wohnt.
Umzug ist kein Thema
Als Augustin 1997 das Einfamilienhaus baute, waren im kantonalen Richtplan keine Südanflüge vorgesehen. «Ich hätte niemals in einer zukünftigen Flugschneise mein Heim gebaut», sagt Augustin.
Der Anflug des ersten Flugzeugs sei ein Riesenschock gewesen. «Meine Frau und ich hatten das Gefühl, es fliege in unser Schlafzimmer», beschreibt er das Erlebnis. Augustin stört sich nicht nur am Lärm, der ihm und seiner Der «Schneiser»
Familie den Schlaf raubt, sondern auch ab der physischen Bedrohung. «Ich habe oft von Flugzeugabstürzen in unmittelbarer Nähe meines Hauses geträumt», erzählt er. Der Stress für den Körper durch die Flieger frühmorgens und immer öfter auch abends sei gross. Das Feld wegen der Flieger zu räumen und umzuziehen, käme für ihn allerdings nicht infrage. Seine Frau ist in der Gemeinde aufgewachsen und wolle ihr soziales Umfeld nicht verlassen.
Deshalb hat sich Matthias Augustin entschieden, dem Südanflug den Kampf anzusagen und sich damit für eine höhere Lebensqualität in den davon betroffenen Gemeinden einzusetzen.
Im VFSN mischt Augustin seit dessen Anfängen im Jahr 2003 aktiv mit. Von 2005 bis 2007 war er im Vorstand tätig, heute ist er für die jährlich dreimal erscheinende Mitgliederzeitung «vfsninfo» verantwortlich. Wichtig ist ihm aber auch die Teilnahme an der monatlichen Mahnwache am Flughafen Zürich, an diesem Sonntag sogar trotz des schönen Herbstwetters. «Ich will ein Zeichen setzen.» An der Mahnwache gehe es darum, die Solidarität der Bevölkerung zu wecken: legal, ruhig und friedlich, wie Augustin betont. Radau und Krawall seien an der Mahnwache genauso wenig willkommen wie grosse Parolen.
Der sonntägliche Anlass ist gemäss dem «Schneiser» aber auch für den Zusammenhalt des Vereins wichtig. Im Laufe der Jahre habe sich unter den Mitgliedern ein harter Kern herauskristallisiert, der jeden ersten Sonntag im Monat am Flughafen Stellung bezieht – seit sechs Jahren. Ohne dass sie das klar definierte Ziel, den Stopp von Südanflügen, erreicht hätten. «Klar, das ist frustrierend.» Und den «Schneisern» drohe bereits neues Unheil: Die Südstarts, deren mögliche Einführung die Regierung zur Sprache brachte.
Keine Spur von Resignation
Gerade diese neue Bedrohung verschafft Matthias Augustin aber neue Motivation für seinen unerbittlichen Kampf. «Ich gebe nicht auf, ich will das Stück Lebensqualität wieder bekommen, das mir Politik und Behörden mit der Einführung der Südanflüge weggenommen haben.» Seine Hoffnung ruhe einerseits auf einer «längst notwendigen klaren Rechtsprechung durch die Gerichte». Diese liessen aber die zahlreichen Einsprachen der «Schneiser» seit Jahren unbehandelt liegen. Anderseits aber auch auf der Arbeit des Vereins. Und diese ist am Sonntag wie immer um Punkt 11 Uhr beendet, wenn das Glöckchen des Vereinspräsidenten, Thomas Morf, klingelt. Matthias Augustin hört sich zum Schluss der Mahnwache aufmerksam dessen Informationen zu den neusten Entwicklungen, den laufenden Projekten und den bevorstehenden Anlässen an. Ein wichtiges Datum für Augustin ist der 27. September, wenn das Zürcher Volk über die Verteilungsinitiative entscheidet. Sein Votum auf dem Stimmzettel wird ein klares Nein sein.
Tagses-Anzeiger, 10.09.2009, Regionalteil Oberland, Seite 56