Eine juristische Analyse kommt zum Schluss, dass Bundesrat Leuenberger in der Vereinbarung von Ende Juni Deutschland einen zu grossen Einfluss auf den Flughafen Zürich zugestanden habe. Bundesparlamentarier werden in der Sache aktiv.
«Folgenschwere Verschärfung des deutschen Anflugregimes abgewendet», liess das Departement von Bundesrat Moritz Leuenberger am vergangenen 26. Juni verlauten. Deutschland erklärte sich bereit, die erweiterte Einschränkung für Anflüge auf den Flughafen Zürich über süddeutsches Gebiet vom 10. Juli auf den 30. Oktober zu verschieben. Wie sich jetzt herausstellt, enthält das von Leuenberger und dem deutschen Verkehrsminister Manfred Stolpe unterzeichnete Protokoll einen Passus, der viel Spielraum für Interpretationen lässt.
Deutschland und die Schweiz würden ein Konzept für die Organisation der Flugsicherung im Grenzbereich entwickeln und umsetzen, heisst es im Protokoll. Das Papier schliesst mit dem Satz: «Unabhängig von dem noch zu entwickelnden Konzept ist eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland bei Entscheidungs- und Verfahrensabläufen sicherzustellen.» Welche Entscheidungs- und Verfahrensabläufe gemeint sind, ist nicht ausgeführt.
Die Zürcher Rechtsanwälte Patrick Hoch und Walter Bischofberger haben aus wissenschaftlichem Interesse und ohne Auftraggeber eine juristische Analyse des Protokolls vom 26. Juni vorgenommen. Bischofberger kommt zum Schluss, dass die Klausel am Ende für alle Verfahren und alle Entscheidungen gültig sei, die den Flughafen Zürich betreffen. Dies ergebe sich aus dem ausdrücklichen Hinweis, dass Deutschland «unabhängig von dem noch zu entwickelnden Konzept» über die Flugsicherung an Entscheidungs- und Verfahrensabläufen beteiligt sei.
Brisant ist diese Feststellung vor allem deshalb, weil Deutschland somit berechtigt wäre, Einfluss auf das Betriebsreglement des Flughafens zu nehmen. Im Betriebsreglement sind die An- und Abflugverfahren, die Flugbetriebszeiten und weitere Vorschriften für die Benützung des Flughafens festgelegt. Laut Bischofberger deutet alles darauf hin, dass ein Passus aus dem abgelehnten Staatsvertrag, der Deutschland weitreichende Kompetenzen zugestanden hätte, in verkürzter Form ins Protokoll von Ende Juni aufgenommen worden ist.
Bischofberger unterstreicht, dass eine derart weit gehende staatsvertragliche Vereinbarung den Zuständigkeitsbereich des Bundesrats übersteige und in die Kompetenz der Bundesversammlung falle. Mit andern Worten: Bundesrat Leuenberger müsste das Protokoll der Bundesversammlung zur Genehmigung vorlegen. Bisher hat er dazu keine Anstalten getroffen.
Leuenbergers Pressesprecher Hugo Schittenhelm verneint, dass die Bundesversammlung zuständig sei. Das Protokoll sei das Ergebnis einer Aussprache zweier Minister und enthalte beidseitige Absichten, die keine Rechte und Pflichten begründeten. Deutschland sieht dies allerdings anders. «Bei dem Protokoll handelt es sich um eine politisch verbindliche Zusage der Vertreter der Regierung der Schweiz und der deutschen Bundesregierung», schreibt der Pressesprecher des deutschen Verkehrsministeriums, Michael Zirpel. Die beiden Länder sind sich also über die Grundbedeutung des Protokolls nicht einig.
Übereinstimmend erklären hingegen beide Seiten, dass die erwähnten Entscheidungs- und Verfahrensabläufe, an denen Deutschland beteiligt ist, nur den deutschen Luftraum beträfen. Diese Aussage gibt Rätsel auf, denn aus welchem Grund sollte Deutschland bei der Schweiz um Entscheidungsbefugnis für den eigenen Luftraum bitten? Seine Verordnungen hat Deutschland bisher ohne viel Federlesen erlassen.
Auf die Frage, ob sich Deutschland gegen die Einführung des sogenannten gekröpften Nordanflugs entlang der schweizerisch-deutschen Grenze zur Wehr setzen werde, schreibt Zirpel: «Sollte die Schweiz ein solches Verfahren genehmigen wollen, wird Deutschland durch entsprechende Luftraummassnahmen darauf hinwirken, dass ein Mindestabstand zur deutschen Grenze von 2,5 nautischen Meilen einzuhalten ist.» Dies entspricht einer Entfernung von 4,63 Kilometern - Deutschland scheint sich mit seiner Einflussnahme also keineswegs auf den eigenen Luftraum beschränken zu wollen. Die umstrittene Klausel im Protokoll vom 26. Juni könnte der deutschen Regierung dabei zupass kommen.
Ständerat Hans Hofmann (svp.) und Nationalrätin Trix Heberlein (fdp.) sind im Besitz der juristischen Analyse der beiden Zürcher Anwälte. Sie werden die Verkehrskommissionen der beiden Räte informieren und kündigen weitere Abklärungen an. «Sollte sich herausstellen, dass die Deutschen tatsächlich in unseren Flughafenfragen mitentscheiden können, muss man das Protokoll vors Parlament bringen», sagt Heberlein.