Regierung darf keine weiteren Südstarts dulden (TA)

Publiziert von VFSNinfo am
FLUGHAFEN KLOTEN: DEBATTE UM DAS KÜNFTIGE FLUGREGIME

Der Bund stellt zur Debatte, mit weiteren Südstarts die Kapazität des Flughafens zu erhöhen. Nun ist der Regierungsrat gefordert.

Er muss dieser Idee von Swiss und Unique eine Absage erteilen.

Von Stefan Häne

Die Flughafenbetreiberin Unique und die Fluggesellschaft Swiss haben in Bern erfolgreich lobbyiert: In der Ausmarchung um das künftige Flugregime auf dem Flughafen Kloten stellt das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) die Möglichkeit zusätzlicher Starts nach Süden zur Debatte – und zwar nicht Südstarts mit einer Linkskurve, wie es sie heute schon gibt, sondern neu geradeaus, also über die Forch.

Deutlich mehr Fluglärm

Zwei Varianten hat das Bazl geprüft: Erstens Südstarts nur bei den seltenen Wetterlagen (Nebel, Bise), um Verspätungen zu vermeiden; dies würde rund 1000 zusätzliche Bewegungen pro Jahr ausmachen. Zweitens Südstarts zu Spitzenzeiten, um die Kapazität zu steigern. Je nach Betriebsvariante hätte dies bis zu 8500 Starts jährlich zur Folge. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Südstarts mit anschliessender Linkskurve bei rund 13 500, ein Jahr zuvor waren es fast gleich viele. Mit den zusätzlichen Südstarts geradeaus droht also deutlich mehr Lärm für die Bevölkerung im Süden des Flughafens.

Mit den Südstarts geradeaus ist ein neues Element in der Endphase eines langwierigen Prozesses aufgetaucht. Seit 2004 dauern die Arbeiten am Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL), der die Basis für das künftige An- und Abflugverfahren in den nächsten 30 Jahren bildet. Aus 19 möglichen Betriebsvarianten haben sich drei als am ehesten realisierbar herausgeschält. Bei zwei der favorisierten Lösungen soll das aktuelle Betriebssystem auf den bestehenden drei Pisten ergänzt und verbessert werden. Eine dritte Variante sieht eine Verlängerung der Pisten vor. 2012, so der Plan, wird der Bundesrat entscheiden, welche dieser drei Varianten er im SIL verankern will.

Kniefall vor Unique und Swiss

Die Südstarts geradeaus figurieren in allen drei verbliebenen Optionen. Nicht zufällig: Unique und die Swiss befürchten, künftig zu wenig Spielraum zu haben im Korsett, das die Politik schnürt. Im vergangenen Jahr gab es in Kloten 275000 An- und Abflüge. Im Rekordjahr 2000 waren es 325 000 Bewegungen. Bis 2030 rechnet das Bazl mit einer (bereits einmal nach unten korrigierten) Nachfrage, aus der in Kloten rund 405000 Flugbewegungen resultieren; das sind über 50000 Starts und Landungen mehr, als die drei Betriebsvarianten zulassen. Es komme deshalb, so warnen Unique und Swiss eindringlich, zu Kapazitätsengpässen, wahrscheinlich schon ab 2020.

Diese Befürchtung entspringt der Wachstumslogik der beiden Unternehmen und ist aus dieser Optik denn auch nachvollziehbar. Unverständlich ist hingegen, dass das Bazl dem Drängen von Unique und Swiss nachgegeben hat und Südstarts für einen Kapazitätsausbau des Flughafens überhaupt zur Diskussion stellt. Damit weckt das Bazl bei der Bevölkerung die Angst vor einem masslosen Wachstum des Flughafens.

Einen Bärendienst erweist das Bazl auch Avenir Suisse. Die Denkfabrik von Thomas Held hat letzte Woche den Vorschlag lanciert, der Bund solle am Flughafen Kloten das Zepter übernehmen. Der Bund verfolge nicht Partikularinteressen, sondern sei in der Lage, Lösungen im Sinn aller Konfliktparteien zu erarbeiten, so Avenir Suisse. Mit seinem Kniefall vor Unique und der Swiss beweist das Bazl das Gegenteil.

Süden ist am dichtesten besiedelt

Und es zeigt wenig Gespür für die Befindlichkeiten im Kanton Zürich. Selbst der Regierungsrat, der für einen leistungsfähigen, zuverlässigen Flughafenbetrieb mit Drehkreuzfunktion eintritt, hat sich zum Vorschlag von Südstarts geradeaus kritisch geäussert. Er tat dies im Frühjahr 2008, im Rahmen des dritten SIL-Koordinationsgespräches: Er lehne diese Massnahme ab, auch wenn sie nur zum Verspätungsabbau in besonderen Wettersituationen vorgesehen sei. Das «mit Abstand am dichtesten besiedelte Gebiet im mittleren Glattal» dürfe nicht weiter belärmt werden. In dieser Logik müsste die Regierung Südstarts mit dem Ziel einer Kapazitätssteigerung erst recht ablehnen.

Noch hat die Regierung keine inhaltliche Beurteilung dazu abgegeben. Alles andere als eine klare Absage an den Vorschlag des Bazl wäre ein Affront gegenüber der lärmgeplagten Bevölkerung.

Tages-Anzeiger, 15,08.2009, Seite 14


siehe auch:
SIL-Prozess, provisorischer Schlussbericht (VFSN)
SIL-Prozess Flughafen Zürich: Schlussbericht geht in Konsultation (BAZL)
«Das ist ein Affront gegenüber der betroffenen Bevölkerung» (TA)
Mit Pistenverlängerung am wenigsten Fluglärm (NZZ)
Südstarts: skandalös (Leserbriefe ZSZ)