Von Stefan Häne
Zürich/Kloten. – Die Verärgerung bei der Grünen Partei ist gross: «Avenir Suisse rührt alten Mist neu auf», sagt Kantonsrat Robert Brunner als Reaktion auf die Studie, welche die Denkfabrik von Thomas Held letzte Woche vorgestellt hat (TA vom Samstag). Avenir Suisse schlägt darin vor, was der Bundesrat seit 2004 anstrebt: eine neue Kompetenzverteilung in der Schweizer Luftfahrt. Zwar ist der Bund grundsätzlich für die meisten Belange der Aviatik zuständig, die Kontrolle über den Flughafen Kloten liegt jedoch beim Kanton Zürich. Ein Befreiungsschlag im verfahrenen Flughafenstreit könnte gelingen, so Avenir Suisse, wenn in Kloten der Bund das Zepter übernähme.
Diese These löst im Kantonsrat weitum Befremden aus, wie eine TA-Umfrage zeigt. EVP-Fraktionschef Peter Reinhard etwa will «diskussionslos alles beim Alten belassen». Das Mitspracherecht des Kantons sei wertvoll, etwa bei Pistenausbauten oder der Höhe der Lärmgebühren, welche die Flughafenbetreiberin Unique erhebe. Die SP gibt ebenfalls den Tarif durch: «Keine Flughafenpolitik ohne die betroffene Bevölkerung!» Mehr Einfluss für Bern heisse weniger Mitsprache und Demokratie für Zürich und seine Bevölkerung, sagt Fraktionschef Nicolas Galladé. Die CVP hält den Vorschlag zwar für prüfenswert, aber: «Wir bezweifeln, dass es sinnvoll ist, den Flughafen ganz aus den Händen zu geben», sagt Fraktionschef Philipp Kutter.
Bissige Kritik kommt auch aus den Reihen der Bürgerlichen, die mit Avenir Suisse für gewöhnlich an einem Strick ziehen. SVP-Kantonsrätin Barbara Steinemann spricht dem Bund die Fähigkeit ab, eine Flughafenpolitik aus einem Guss zu machen. Der Bund habe bereits genug Kompetenzen – und in der Vergangenheit viele Fehler gemacht, etwa bei der Aushandlung des Staatsvertrags mit Deutschland. FDPFraktionschef Thomas Vogel sieht keinen Anlass, Kompetenzen abzugeben, auch wenn der politische Prozess in Zürich «etwas harzig» sein möge. Der Zürcher Souverän habe bisher keine Entscheide gefällt, die den Flughafen als national bedeutungsvolle Infrastruktur gefährdeten.
Die Zürcher Kantonsräte verlangen vom Bund, wichtige Pflöcke in der Flughafenpolitik einzuschlagen, und zwar sofort. «Würde der Bund den Spielraum für Zürich endlich klar definieren, wüsste die kantonale Politik, womit sie sich sinnvollerweise beschäftigen müsste», sagt Vogel.
Über einen dieser fehlenden Pflöcke wird der Bund heute in Bern informieren: den Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL), der die Basis für das künftige Anund Abflugregime in Kloten bildet. Vor einem Jahr hatte der Bund entschieden, von den ursprünglich 19 Varianten deren drei weiterzuverfolgen. Bei zwei der favorisierten Lösungen soll das aktuelle Betriebssystem auf den bestehenden drei Pisten ergänzt und verbessert werden. Eine dritte Variante sieht eine Verlängerung der Pisten vor. Inzwischen hat der Bund die Facharbeiten an den Varianten fortgeführt und Lärmberechnungen erstellt.
Thomas Held ortet «Offenheit»
Auch Avenir Suisse wartet gespannt auf die neuen Resultate. Über die kantonsrätliche Kritik zeigt sich die Denkfabrik erstaunt. Direktor Thomas Held hat sich am vergangenen Freitag in Kloten mit kantonalen und kommunalen Politikern getroffen und dabei eine «gewisse Offenheit» gegenüber den Vorschlägen ausgemacht. Es sei der Wille auszumachen, aus dem bestehenden Konfliktmuster auszubrechen, sagt Studienautor Daniel Müller-Jentsch. Avenir Suisse verwahrt sich gegen den Vorwurf, den Kanton entmachten zu wollen. Es gehe um Lösungsvorschläge, welche die Flughafenpolitik aus ihrer Sackgasse befreien wollten – im Einvernehmen mit dem Kanton Zürich.
Tages-Anzeiger, 13.08.2009, Seite 9
siehe auch:
Die betroffene Bevölkerung kaltstellen (VFSN)
Zürcher sollen nicht mehr allein über Flughafen bestimmen (NZZ)
Lob und Tadel für Avenir-Suisse-Sudie (ZOL)
Propagandastelle der Mächtigen (Leserbriefe TA / ZSZ)