Denn die Bundesrepublik gibt damit eine hoheitliche Aufgabe aus der Hand, die von besonderem Gewicht für die Sicherheit der Bürger ist. Als voraussichtlich einziges Bundesland wird Baden-Württemberg gegen die Gesetzesänderung stimmen, wie es in der Berliner Landesvertretung gestern auf Nachfrage hieß: „Es wird eine Protokollerklärung geben, in der das Land seine verfassungsrechtlichen Bedenken kundtut."
Derweil schwelt der Streit zwischen der Schweiz und der Europäische Kommission über die Flugverkehrsbelastung in Südbaden weiter. Am 9. September verhandelt das Gericht erster Instanz der EG (EuG) in Luxemburg die Klage der Eidgenossen gegen die deutsche Nachtflugverordnung. Die Europäische Kommission hatte die von Deutschland erlassene DVO Ende 2003 für rechtens erklärt. Bern klagte dagegen vor dem EuGH. Juristen werteten es damals schon als prozessuale Niederlage, dass die Klage vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) an die erste Instanz verwiesen wurde. Insbesondere die Rechtsvertretung des Kreises Waldshut hatte damals darauf hingewiesen, dass die Schweiz kein Mitgliedsland der EG ist, so dass sie sich zunächst an das EuG wenden musste.
Als weitere prozessuale Niederlage für die Schweiz werten Beobachter, dass der Kreis Waldshut als Hauptbetroffener ebenfalls zugelassen wurde. Nach Kenntnis des Hamburger Anwalts Marco Núñez (Sozietät Latham & Watkins LLP in Hamburg), der den Kreis Waldshut vertritt, war dies das erste Mal in der Geschichte des höchsten europäischen Gerichts, dass ein Landkreis als Streithelfer in Luxemburg zugelassen wurde.
Die Schweiz, vertreten durch die Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz, hatte sich strikt dagegen ausgesprochen, freilich ohne Erfolg.
In der mündlichen Verhandlung am 9. September werden die drei Richter unter Vorsitz des Griechen Mihalis Vilaras prüfen, ob die Kommission zu Recht die DVO stützt. Dabei gelten Richter am Europäischen Gerichtshof als „exzellent vorbereitet", so Marco Núñez. Ihre juristische Kompetenz gleicht jener deutscher Verfassungsrichter. Die Verhandlungssprache wird am 9. September Deutsch sein. Dolmetscher übersetzen in der öffentlichen Anhörung.
Für die Schweiz drängt aus Sicht von Marco Núñez die Zeit. Ein Jahr habe sie bereits verloren, nachdem sie sich zunächst an den EuGH gewandt hatte. Bald zehn Jahre habe die Schweiz obendrein inzwischen verstreichen lassen, ohne sich auf schärfere Maßnahmen Deutschlands im Zusammenhang mit der DVO einzustellen. Sollten die Eidgenossen im Falle einer Niederlage vor dem EuG Revision beim EuGH einlegen, könnten schnell 13 Jahre vergangen sein. Und das, wo der Flughafen Zürich auf eine politische Klärung seiner Entwicklungsmöglichkeiten drängt.
Marco Núñez hält die Klage der Schweiz wegen „Diskriminierung" gegenüber anderen Flughäfen für unbegründet. Aus seiner Sicht darf sie nicht den Luftraum des deutschen Nachbarn ungehindert nutzen, um die eigene Bevölkerung zu schonen. Ein Prozess ist noch beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig anhängig, das sich ebenfalls mit einer Klage gegen die DVO befasst hat. Leipzig hat die Klage der Swiss und des Zürcher Flughafens allerdings nach deutschem Recht bereits abgewiesen. Hinsichtlich der europarechtlichen Fragen hat das höchste deutsche Verwaltungsgericht das Verfahren bis zu einem Richterspruch des EuG ausgesetzt.
Kommentar VFSN: Auch Marco Núñez weiss, dass 66% des Fluglärms von deutschen Fluglinien verursacht werden, nur 2% des Fluglärms auf deutschem Gebiet anfällt und die Lufthansa in Zürich einen deutschen Hub auf schweizer Boden betreibt.