Die Betroffenen reagieren unterschiedlich. Der Bund gibt den Unbeteiligten, der Flughafen verweist auf seine anhaltende ZFI-Skepsis, die Gemeinden schieben den schwarzen Peter dem Regierungsrat zu, und dieser ist auf Tauchstation (NZZ 03.06.2009). Erst im November will Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer die Zahlen aus dem vergangenen Jahr veröffentlichen. Kein Wunder, springen andere in die Bresche. Der Verband der Südschneiser hat soeben eine aufwendig dokumentierte Schätzung veröffentlicht, die den ZFI für 2008 auf über 50\'000 Personen, also deutlich über dem Richtwert von 47\'000, veranschlagt. Ob diese Prognose im Detail zutrifft, muss sich zeigen; dass der Richtwert überschritten ist, scheint aber so gut wie sicher. Damit sind Massnahmen fällig, und es drängen sich angesichts des Handlungsdrucks ein paar grundsätzliche Feststellungen zum ZFI auf.
LEGITIMIERT UND LIMITIERT
Erstens: Der ZFI hat – anders als das nationale Raumplanungsprojekt SIL oder der vertragslose Zustand mit Deutschland – demokratische Legitimation. Wenn knapp zwei Drittel des stimmenden Zürchervolks in Sachen Fluglärm einem neuen Konzept zustimmen, darf dies nicht übergangen werden; 95 Prozent des Zürcher Fluglärms werden über dem kantonalen Territorium abgesondert und nicht in den Nachbarkantonen oder in Süddeutschland. In diesem Zusammenhang gilt es an das gute Augenmass des Zürcher Souveräns zu erinnern. Er ist dem Flughafen seit dessen Gründung stets positiv gegenübergestanden. Die klare Abweisung der radikalen Plafonierung steht in dieser Tradition. Das Ja zum ZFI zeigt aber, dass die Langmut gewisse Grenzen hat und dass man die Lärmemissionen des Wachstumsmotors unter Kontrolle behalten will.
Zweitens: Der ZFI hat begrenzte Wirkung. Der Kanton kann zwar Massnahmen gegen die Überschreitung des Richtwerts prüfen und zur Umsetzung vorschlagen. Letztlich wird er damit aber höchstens als Bittsteller beim Bund und beim Flughafen auftreten können. Luftfahrtpolitik ist – auch wenn dies nur selten spürbar ist – Bundessache und nicht in der Obhut der Kantone angesiedelt.
IN EILE ZUSAMMENGEZIMMERT
Drittens: Der ZFI hat Schwächen. Mit der Einführung des neuen Indexes wird aus jedem Anwohner ein Fluglärmgeplagter, zumindest teilweise. Die auf Umfragen beruhende Formel ermittelt eine gewisse Rate von Belästigung, die dann mit der Anzahl Anwohner im weit gefassten Untersuchungsgebiet multipliziert wird. Das heisst, dass auch Personen, die in vollem Wissen um den Lärm – und ohne sich daran zu stören – in die Nähe des Flughafens zügeln, zum Anstieg des ZFI beitragen. Dies ist verheerend, weil der Bauboom rund um den Flughafen unvermindert anhält und die Gemeinden zu Recht darauf bestehen, auch ihre letzten Baulücken zu füllen, um so unter anderem ihr Steuersubstrat zu nähren. Im Weiteren war bereits im ersten Jahr der Anwendung der weitaus grösste Teil des Anstiegs auf die Korrektur eines Berechnungsfehlers zurückzuführen. Derartige Pannen zeigen, wie überstürzt der Index zusammengezimmert wurde.
FÖRDERUNG LEISERER FLUGZEUGE
Viertens: Der ZFI hat Stärken. Das Instrument gibt relativ verlässlich Auskunft über die Entwicklung der Lärmbelastung rund um den Flughafen. Der ZFI reagiert beispielsweise sehr sensibel auf zu- oder abnehmende Belastungen in den Nachtrandstunden. Es wird sich bei der Präsentation der Zahlen aus dem Jahr 2008 wahrscheinlich zeigen, dass ein grosser Teil der Zunahme auf die gestiegene Zahl der Nachtflüge zurückzuführen ist. Gleichzeitig honoriert der ZFI die Verwendung von lärmarmen Flugzeugen. Mit seiner Hilfe könnte die bereits heute lärmgünstige Flottenpolitik der in Zürich verkehrenden Gesellschaften, auch der Swiss, weiter positiv beeinflusst werden.
Aus diesen Feststellungen ergeben sich eine Reihe von vorläufigen Schlussfolgerungen: Der ZFI ist nicht vom Himmel gefallen, sondern er ist eine Konsequenz aus dem jahrelangen Lärmkonflikt und der echten Betroffenheit eines nicht zu vernachlässigenden Anteils der Zürcher Bevölkerung.
Die Bundesbehörden und der Flughafen können sich des Weiteren nicht um die Stimme des Zürchervolks foutieren, auch wenn der ZFI quer zum Bundesrecht steht. Denn wie man bei Unique richtig erkannt hat: Gegen die Mehrheit der Bevölkerung lässt sich der Flughafen auf die Dauer nicht betreiben.
Man soll jetzt zudem nicht überreagieren und bei allfälligen Massnahmen Augenmass bewahren. Der ZFI war der Gegenvorschlag zur Plafonierung. Das Volk hat ihm zuge stimmt, um eine radikale Bewegungsbegrenzung zu verhindern. Ja gesagt hat es auch zu einem ZFI-Zusatz, der besagt, dass nicht nur bei der Richtwertüberschreitung, sondern auch beim Erreichen von 320\'000 Bewegungen jährlich Massnahmen nötig werden. Davon ist man derzeit weit entfernt. 2008 wurden knapp 275\'000 Bewegungen verzeichnet, Tendenz sinkend. Grund dafür ist die weltweite Rezession. Es wäre absolut verfehlt, dem Flughafen mitten in der Wirtschaftskrise noch engere Fesseln anzulegen.
NEUZUZÜGER NICHT MEHR ZÄHLEN
Der ZFI ist ausserdem wie jedes andere Gesetz reformierbar. Zwar kann man keine zwei Jahre nach der Abstimmung nicht das ganze Konzept über den Haufen werfen, aber dort, wo sich Schwächen zeigen, darf man über die Bücher. Die grösste Schwäche ist der erwähnte Zustrom von Anwohnern, die offenen Auges beziehungsweise offenen Ohres in die Lärmzone ziehen. Hier drängt sich ähnlich wie bei der Minderwertentschädigung bei Liegenschaften die Einführung eines Stichdatums auf. Wer nach einem bestimmten Datum in die Nähe des Flughafens gezügelt ist, soll nicht mehr in die ZFI-Berechnung einbezogen werden. Diese Modifikation wäre administrativ relativ einfach zu bewältigen.
Die Regierung schliesslich und namentlich die Volkswirtschaftsdirektorin sollten ihre Vogel-Strauss-Politik beenden und offensiver umgehen mit ihrem Rumpelstilz ZFI. Wenn ein Verein von Fluglärmgegnern vor Mitte Jahr verlässlich scheinende Hochrechnungen präsentieren kann, warum sollte dies die Verwaltung nicht können? Anders als im Märchen der Brüder Grimm wird der in Ungnade gefallene Retter nämlich nicht einfach mit Getöse im Untergrund verschwinden.
ark.
NZZ, 06.06.2009, Seite 47