2000 Tage Protest - ohne Erfolg (AvU)

Publiziert von VFSNinfo am
Heute demonstrieren die Südschneiser in Zürich mit einem Gedenkmarsch

Die Schneiser demonstrieren wieder. Trotz aller Proteste  wird aber immer noch von  Süden angeflogen - ein  Ende ist nicht in Sicht. Eine  Chronologie der Hoffnungen und Enttäuschungen.

Andreas Schürer

24. Juni 2003: ein schwarzer Tag für alle, die im Süden des Flughafens wohnen: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt genehmigt die Einführung der Südanflüge per 30. Oktober. Beginn einer langen Geschichte. Die wiederkehrenden Elemente: Demos mit Pfeifen und Mützen, Wut auf Bundesrat Leuenberger, Deutschland und die «Flughafen-Turbos» von Unique, Hoffnung, Enttäuschung.

6. Juli 2003: das erste Mal. Knapp 10\'000 gelb gekleidete Schneiser protestieren in Zürich - für viele die erste Demo im Leben. Die Forderung: «Südanflüge müssen verhindert werden.» Hauptredner ist der Zürcher SP-Stadtrat Robert Neukomm. Die Sofort-Alternative für ihn: der gekröpfte Nordanflug. Dieser soll ermöglichen, dass von Norden angeflogen werden kann, ohne deutsches Territorium zu beanspruchen. Gekröpfter Nordanflug: Der Begriff ist gewöhnungsbedürftig, doch bald schon wird er im Standardwortschatz jedes Südschneisers sein.

27. Oktober 2003: An diesem Tag wird klar: Mit juristischen Mitteln kann der erste Südanflug nicht gestoppt werden. Die Rekurskommission Uvek hat gegen die Schneiser entschieden. An einer Protestveranstaltung in Egg sagt Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd - Nein (VFSN): «Mir ist hundselend zu Mute.» Doch er macht sich und den Schneisern Mut: «Wir haben heute einen Match verloren, aber nicht das Turnier. Aus dem Provisorium darf kein Providurium werden.»

Hoffen auf den «Gekröpften»

30. Oktober 2003: Tag 1. Heute beginnt die Schneiser-Zeitzählung. Kurz nach sechs Uhr dröhnt der erste Anflug von Süden über den Schulhausplatz in Gockhausen. Dort stehen gegen 500 Schneiser und pfeifen. Morf sagt: «Wir sind hier, weil wir uns nicht unterjochen lassen.»

5. Dezember 2003: Tag 37. Die EU-Kommission lehnt die Beschwerde der Schweiz gegen die deutschen Anflugbeschränkungen vollumfänglich ab.

31. Januar 2004: Tag 94. Die Schneiser demonstrieren am Flughafen, 8000 an der Zahl. Richard Hirt, Präsident des Fluglärmforums Süd und Gemeindepräsident von Fällanden, setzt auf Emotionen: «Wir sind hier, um unsere Kinder zu schützen, wir sind hier, um unser Eigentum zu schützen, unsere Kulturlandschaft, unsere Heimat.»

«Wir lassen nicht locker»

30. Oktober 2004: Tag 367. Die Einführung der Südanflüge jährt sich. Rund 600 Schneiser demonstrieren morgens um sechs Uhr in Gockhausen in den mittlerweile charakteristischen gelben Mützen und mit Fackeln. Morf fordert: «Heute in einem Jahr müssen Alternativen wie zum Beispiel der gekröpfte Nordanflug in Betrieb sein.» Und er kündet an: «Wir werden keine Ruhe geben, bis im Betriebsreglement das Wort Südanflüge definitiv verschwunden sein wird.» Auch Martin Bäumle, Nationalrat der Grünliberalen und Stadtrat von Dübendorf, zeigt sich kämpferisch: «Lassen wir uns nicht zermürben. Wir haben gute Argumente, und wir haben das Gesetz auf unserer Seite.»

3. September 2005: Tag 675. Das Provisorium ist zum Providurium geworden. Die Schneiser, inzwischen regelrechte Demo-Routiniers, bleiben standhaft: 5000 marschieren durch Zürich. Thomas Morf ruft Worte ins Mikrofon, die durch die Wiederholung inzwischen wie Durchhalteparolen anmuten: «Wir lassen nicht locker.» Ueli Fausch, Stadtpräsident von Wädenswil, donnert vom Rednerpodium herunter: «Wir wollen keine Bananenrepublik sein. Darum demonstrieren wir hier.»

30. Oktober 2005: Tag 732. Am zweiten Jahrestag der Südanflüge versammeln sich rund 400 Schneiser frühmorgens in Gockhausen. Die Hoffnung lebt, das ist heute spürbar. Die Hoffnung auf Entlastung, auf den gekröpften Nordanflug - den «Kröpfte», wie er fast schon liebevoll genannt wird. Morf beschwört diese Hoffnung denn auch: «Der Druck der Strasse hat bewirkt, dass die Zürcher Kantonsregierung und Unique mittlerweile auch auf den gekröpften Nordanflug setzen. Jetzt müssen wir nur noch dem Bundesamt für Zivilluftfahrt beibringen, dass der Gekröpfte eine Kurve fliegt - und keinen Looping.»

25. Juli 2006: der 1000. Tag. Gut zwei Dutzend Schneiser blockieren etwa von sechs bis sieben Uhr morgens die Rheinbrücke bei Kaiserstuhl. Ihr Motto: «Wenn Deutschland keinen Luftverkehr will, wollen wir keinen Strassenverkehr aus Norden.»

Heilsbringer, der nie kommt?

30. Oktober 2006: Tag 1097. Der dritte Jahrestag der Südanflüge. Diesmal versammeln sich die Schneiser auf der Forch, rund 200 sind gekommen, um den ersten Flieger, der am morgendlichen Himmel auftaucht, auszupfeifen. Die Hoffnung auf ein Ende der Südanflüge lebt. FDP-Nationalrat Filippo Leutenegger nährt sie: «Wir prüfen eine Volksinitiative im Kanton Zürich betreffend die sofortige Einführung des gekröpften Nordanflugs.»

30. Oktober 2007: Tag 1462. Der vierte Jahrestag. Der Slogan «Vier Jahre sind genug» macht die Runde. 350 Schneiser hören Politikern zu, die sich auf dem Podium unisono für die «raschestmögliche» Einführung des gekröpften Nordanflugs stark machen: Doris Fiala (FDP), Urs Hany (CVP), Martin Bäumle (GLP), Martin Arnold (SVP) und Ruedi Lais (SP). Fragezeichen mehren sich. «De Kröpfti» - ein Heilsbringer, der nie kommt?

Neues Schreckensszenario

3. Juli 2008: Tag 1709. wieder ein schwarzer Tag für den Süden: Das Bundesamt für Zivilluftfahrt lehnt den gekröpften Nordanflug ab. Südanflüge seien sicherer. Alles verloren? Der Ton wird schärfer. Thomas Morf kocht: «Die Bundesräte sind Hasenfüsse, die vor Deutschland kuschen.» Doch die Hoffnung lebt weiter. Morf zählt darauf, dass der Gekröpfte doch noch eine Chance haben wird: dann, wenn er nicht auf Sicht, sondern mit satellitengestütztem Anflugverfahren geflogen werden kann. Doch auch eine neue Furcht geht in der Südschneise um. Das Schreckensszenario: Starts über den Süden. Denn auch eine Parallelpiste kommt für das Bundesamt für Zivilluftfahrt nicht in Frage. «Südstarts werden von Unique ganz sicher gefordert, weil ohne Parallelpiste Kapazitätsprobleme drohen», befürchtet Morf.

30. Oktober 2008: Tag 1828. Etwa 150 Südschneiser «feiern» am Fuss des Forchdenkmals ein trauriges Jubiläum: fünf Jahre Südanflüge. Thomas Morf sagt: «Wir kämpfen weiter gegen das Unrecht und die subtile Gewalt, die uns täglich angetan wird. Die Flamme des Forchdenkmals symoblisiert die Flamme des Widerstands.» Filippo Leutenegger nimmt - fast gehört es schon zum Ritual - seinen Lieblingsfeind ins Visier: «Ich erwarte nicht, dass sich irgendetwas ändert, solange Leuenberger Verkehrsminister ist.»

Verurteilung wegen Blockade

10. April 2009: Tag 1990. Die Blockade der Rheinbrücke hat Folgen: Das Bundesgericht verurteilt 24 Schneiser Ietztinstanzlich wegen Nötigung und brummt ihnen bedingte Geldstrafen und Bussen auf.

25. April 2009: Tag 2005. Zürich ist gelb, die Schneiser - wieder mehrere tausend wie bei den bisherigen Grossdemos - besammeln sich um 13.45 Uhr hinter dem Landesmuseum und brechen dann zum Gedenkmarsch auf. Die Hoffnung auf ein Leben ohne Südanflüge scheint getrübt. Vielmehr dominiert die Angst, dass es noch schlimmer kommt. Das Motto der Demo lautet: «Wir wollen nicht den ganzen Tag Südanflüge und auch keine Südstarts geradeaus - der Staat soll endlich gültige Gesetze respektieren!»

AvU, 25.04.2009, Seite 2


Kommentar VFSN: Ohne Erfolg? Richtig, die Südanflüge gibt es immer (noch). Aber was wäre ohne Protest und Widerstand gewesen? Dann hätten wir heute den ganzen Tag Südanflüge, der Fluglärm wäre keine Thema mehr und wir hätten absolut keine Hoffnung, dass sich die SiItuation je wieder bessert.


siehe auch:
Gedenkmarsch: 2000 Tage Südanflüge (VFSN)
«Grössenwahnsinn ist das eigentliche Problem» (regio, 23.04.2009)
2000 Tage Protest - ohne Erfolg (AvU, 25.04.2009)
Gedenkmarsch „2000 Tage illegale Südanflüge“ (Medienmitteilung VFSN, 26.04.2009)
Gedenkmarsch 2000 Tage illegale Südanflüge - die Bilder (VFSN, 25.04.2009)
2000 Süd-Schneiser wehren sich mit Gedenkmarsch (BZ, 26.04.2009)
Für jeden Lärmtag ein Teilnehmer (ZOL, 27.04.2009)
Sie lassen die Flügel nicht hängen (Glattaler, 30.04.2009)