Der Leiter Fluglärm der Empa, Georg Thomann, hält den Zürcher Fluglärmindex (ZFI) für tauglich. Er sieht eine Pistenverlängerung als möglichen Weg zur Senkung der Zahl von Lärmbelästigten und schlägt vor, die so stärker belasteten Anwohner im Osten finanziell zu entschädigen.
Interview: ark.
Herr Thomann, sind Sie ein verkappter Flughafen-Plafonierer?
Georg Thomann: Nein.
Sie waren aber massgeblich beteiligt an der Erarbeitung des ZFI, der nun eine Beschränkung des Flugverkehrs nötig macht.
Die Plafonierung ist nur eine mögliche Massnahme zur Einhaltung des Richtwerts. Die Initialzündung für den ZFI kam übrigens vom früheren Empa-Akustiker Robert Hofmann. Ich war Mitglied der von Regierungsrätin Rita Fuhrer einberufenen Expertengruppe, die dann die Auswahl getroffen hat, während die Empa zuständig war für die technische Umsetzung und Beschreibung.
Waren Sie überrascht, dass der ZFI innerhalb eines Jahres derart stark zugenommen hat?
Ja, ich war etwas überrascht. Ich habe natürlich gehofft, dass der ZFI das macht, was wir uns von ihm versprochen haben. Dass er jetzt so anspricht, hängt mit der Veränderung des Flugbetriebs zusammen.
Aber der Flugbetrieb ist derzeit ja stagnierend.
Bezüglich Bewegungszahl schon, ja. Der Nachtflugbetrieb hat aber klar zugenommen. Das sieht man dann auch in der Komponente der stark schlafgestörten Personen. Grund dafür ist eine Verlagerung im Osten hin zu stärker besiedelten Gebieten. Es ist klar, dass er da reagieren muss.
Nun wurde der ZFI ja lanciert als Gegenvorschlag zur Plafonierungsinitiative und verlangt trotzdem schon bei knapp über 250\'000 Bewegungen Massnahmen. Ist er eine Fehlkonstruktion?
Nein, er ist die richtige Konstruktion. Die Bewegungszahl ist nur eine der Komponenten, die Fluglärm ausmachen. Entscheidend ist auch: Welche Flugzeuge werden eingesetzt? Wo fliegen sie durch? Werden stark besiedelte Gebiete überflogen? Das muss man alles berücksichtigen. Von daher ist eine Plafonierung nicht der richtige Weg.
Wurde der Richtwert bei 47\'000 Personen Ihrer Ansicht nach zu tief angesetzt?
Das kann ich nicht beantworten. Der Richtwert ist ein politischer Wert. Die Akustiker können nur die Grundlagen bereitstellen.
In einem Gutachten zum Fluglärmindex für den Flughafen Frankfurt kritisieren Sie und Ihre Koautoren die veraltete Datenbasis des ZFI. Brauchte es neue Umfragen, um sie zu aktualisieren?
Es stimmt, dass wir die Datenlage kritisiert haben. Der ZFI funktioniert aber auch mit den jetzigen Grundlagen einwandfrei. Was neue Umfragen angeht, bin ich skeptisch. Die politische Lage ändert sich so rasch, dass hier vermutlich nichts Vernünftiges, das heisst keine objektive Abbildung der Belastung, rauskommen würde.
Oft wird kritisiert, dass die Neuzuzüger rund um den Flughafen zwar bewusst in eine Lärmzone ziehen, aber trotzdem teilweise zu den stark gestörten Personen zählen. Ist da eine Korrektur möglich im ZFI?
Aus Sicht des Ingenieurs ist eine Korrektur sicher möglich. Ob sie sinnvoll wäre, ist eine ganz andere Frage. Die Belästigung, wie sie im ZFI abgebildet wird, ist objektiviert, das schliesst eben auch solche Leute ein, die bewusst in den Lärm ziehen. Man könnte ebenso auf der anderen Seite fragen, was wir mit denen machen, die plötzlich Fluglärm bekommen und quasi eine Überschussreaktion zeigen. Die werden auch nicht berücksichtigt. Somit würde ich sagen, dass sich das über die ganze Fläche ausmittelt.
Welche Strategien empfehlen Sie der Zürcher Regierung gegen das Steigen des ZFI?
Wenn man den ZFI analysiert, dann ist es der Nachtbetrieb zwischen 22 und 24 Uhr, der den grossen Zuwachs gebracht hat. Da muss man einmal sauber analysieren: Welche Bewegungen finden statt, sind diese alle nötig, müssen sie über dichtbesiedeltes Gebiet führen? Daraus ergeben sich sicher Massnahmen, und wenn das nichts fruchtet, muss man mit der Anzahl Slots arbeiten, die man für die Nacht vergeben kann. So würde man dann die Zahl der schlafgestörten Personen senken.
Welche betrieblichen Massnahmen sehen Sie?
Die neue Führung von An- und Abflügen ist problematisch. Bei der Landung gibt es kaum Spielraum, einige Kilometer vor dem Aufsetzen müssen die Flugzeuge auf den vom ILS vorgeschriebenen Pfad einschwenken, damit ist der Korridor praktisch gegeben. Bei den Starts sieht es etwas anders aus, hier könnte man bei Nordstarts darauf achten, dass Winterthur nicht mehr überflogen wird. Da müssen wir aber noch etwas warten auf Flight-Management-Systeme mit direkter GPS-Führung. Grosses Potenzial gibt es auch bei den Triebwerken, wo der Lärm noch um 5 bis 10 Dezibel reduziert werden könnte. Im Weiteren sollte der Flughafen sein Lärmgebühren-System anpassen. Es hat seine Anreizfunktion weitgehend verloren, da heute fast alle Flugzeuge in der tiefstmöglichen Kategorie eingereiht sind.
Was brächte ein gekröpfter Nordanflug?
Wenn man die Südanflüge wegbekommt, dann bringt er eine Reduktion der Beschallung im dichtestbesiedelten Gebiet und führt zu einer Senkung des ZFI. Aber er ist problematisch bezüglich Kapazität, und es gäbe auch andere Möglichkeiten, den Süden lärmfrei zu bekommen.
Nämlich?
Wir haben vor etwa drei, vier Jahren das von Regierungsrätin Fierz initiierte Projekt Relief bearbeitet. Es brächte eine Verlängerung der Piste 10/28 und mit der Ost- und Nordausrichtung zwei stabile Systeme. Ich stehe immer noch dazu. Das wäre von mir aus gesehen eine Möglichkeit, das Ganze zu beruhigen. Mit den zwei stabilen Systemen können Sie zum Beispiel voraussagen: Nächste Woche fliegen wir das eine System, dann können wir das eine Gebiet frei halten, und umgekehrt. Ich denke, das wäre auch eine Gelegenheit, um mit den Süddeutschen wieder ins Gespräch zu kommen. Wenn man sagen kann:
Das heisst deutlich mehr Fluglärm im Osten.
Ja, die Leute im Osten sind die einzigen Verlierer. Da muss man eine Ersatzlösung finden – beispielsweise monetär. Es gibt ja Gewinner, das sind die im Süden, und die gewinnen massiv. Der Gewinn der ruhigen Morgenstunde müsste abgegolten werden, vielleicht ähnlich wie beim Finanzausgleich. Das ist eine typisch politische Aufgabe, die Details müssten am grünen Tisch ausgejasst werden. Es gibt keine andere Möglichkeit.
Sie verfolgen das Geschehen seit 15 Jahren aus der Nähe. Glauben Sie, dass der Konflikt je gelöst wird?
Der Glaube stirbt zuletzt. Wenn ich die letzten zehn Jahre reflektiere, dann fällt es mir allerdings schwer, daran zu glauben. Ich sehe keinen wirklichen Willen der Kontrahenten für konstruktive Lösungen. Wenn einmal etwas auf dem Tisch ist, wie etwa Relief, dann sind sofort alle dagegen.
Relief enthielt auch raumplanerische Massnahmen, die heute wieder diskutiert werden. Sehen Sie diese als Bestandteil einer Lösung?
Diese Massnahmen gibt es ja schon heute, gewisse Gemeinden sind durch die Umweltschutzgesetzgebung in ihrer Entwicklung eingeschränkt. Davon erhoffe ich mir deshalb nicht allzu viel.
Welchen Beitrag kann die Empa an die Lösung des Konflikts leisten?
Wenn ich zurückblicke, war die Empa praktisch die einzig stabile Grösse. Man muss sich einmal vorstellen, was passiert wäre, wenn jetzt noch verschiedenste Institute gerechnet hätten, dann wäre das Durcheinander perfekt gewesen. Das war das Glück, dass man sich immer geeinigt hat: Es rechnet die Empa. Das hat Kontinuität ermöglicht. Mein Wunsch wäre, dass das auch künftig so bleibt.