Mit seinem Lösungsansatz findet der Verkehrsminister breite Unterstützung. Beim Flughafen rennt er offene Türen ein. Unique betrachtet die «Ertüchtigung» der in Ost-West-Richtung verlaufenden Piste als gutes Mittel, um die Robustheit des Flugbetriebs zu steigern. Die Piste 10/28 ist mit 2500 Metern die kürzeste am Flughafen, eine Verlängerung liesse Landungen auch bei weniger guter Witterung zu, was einer hohen Stundenkapazität dienlich wäre. Wenn damit im gleichen Zug zudem die einseitige deutsche Verordnung (DVO) gelockert werden könnte, käme das den Flughafenverantwortlichen noch so gelegen. Das gilt selbstredend auch für die Südschneiser, die seit der Einführung der verhassten Südanflüge wohl noch nie so erfreut waren über eine Nachricht aus dem vielgeschmähten Departement Leuenberger.
Der Kanton Zürich hat sich zwar bisher nicht offiziell geäussert, aber grundsätzlich stimmt der Regierungsrat nach einigem Hin und Her einer Pistenverlängerung zu. Mit einer Entlastung des Südens könnte die Zahl der Lärmbetroffenen und damit der Zürcher Fluglärmindex (ZFI) gesenkt werden. Nächste Woche wird Volkswirtschaftsdirektorin Rita Fuhrer die mittels ZFI errechnete Zahl der vom Fluglärm stark gestörten Personen präsentieren, und es würde nicht überraschen, wenn sie nur noch knapp unter dem Richtwert von maximal 47 000 Personen liegen würde.
Probleme im Kantonsrat
Schaut man den Vorschlag aus Bern etwas genauer an, will nicht recht einleuchten, warum Deutschland wegen einer Pistenverlängerung in Zürich die DVO lockern sollte. Leuenberger und Cron gehen aber davon aus, dass man die Pistenverlängerung ennet dem Rhein als Geste guten Willens seitens der Schweiz deuten würde. Im Gegenzug würde Deutschland dann zum Beispiel wieder die Anflüge in der ersten Betriebsstunde zwischen 6 und 7 Uhr übernehmen. Offenbar - und andernfalls würden sich die beiden Chefpiloten der Schweizer Luftfahrt wohl nicht so weit zum Fenster herauslehnen - gibt es von deutscher Seite entsprechende Signale.
Das deutsche Entgegenkommen möchte die Schweiz abgelten, indem zusätzliche Landungen während des Tags über den Osten auf die verlängerte Westpiste geführt würden. Dieses Vorgehen versucht man im Rahmen des SIL-Prozesses derzeit auch planerisch abzusichern. Die Variante J mit der Pistenverlängerung steht chancenreich in der Endausmarchung bei der Erarbeitung des künftigen raumplanerischen Korsetts des Flughafens, das die SIL-Teilnehmer (Bund, Kantone und Flughafen) bis 2010 geschnürt haben wollen.
So verlockend, wie sich die Vision aus dem Departement Leuenberger präsentiert, so zahlreich sind die Hindernisse auf dem skizzierten Weg. Die Probleme beginnen im Zürcher Kantonsrat. Er müsste einen Richtplan bewilligen, der wie das SIL-Objektblatt Pistenverlängerungen enthält. Dies wird ein schwieriges Unterfangen. Man braucht für entsprechenden Anschauungsunterricht nur zehn Tage zurückzublicken. Die mit einer bürgerlichen Mehrheit dotierte Verkehrskommission des Kantonsrats hat mit komfortabler Mehrheit einem Pistenmoratorium zugestimmt. Die entsprechende Behördeninitiative kommt im Februar in den Kantonsrat, und alles andere als eine Zustimmung durch das Plenum wäre überraschend.
Zwei Abstimmungssiege nötig
Die wahrscheinliche Mehrheit setzt sich zusammen aus einer Allianz von Mitte-Links und bürgerlichen Abweichlern aus dem Unterland. Die Pistenverlängerung ist westlich, nördlich und östlich des Flughafens derart unpopulär, dass sich selbst im Übrigen durchaus Flughafen-freundliche FDP- und SVP-Politiker gezwungen sehen, ein Pistenmoratorium nicht nur zu unterstützen, sondern dieses aktiv zu fordern. Die Idee für einen Verzicht auf Pistenneu- und -ausbauten stammt aus der Küche von drei bürgerlichen Unterländer Kantonsräten.
Die zweite Klippe, die es zu umschiffen gilt, sind die voraussichtlich zwei notwendigen Zürcher Volksabstimmungen. Die erste betrifft die Moratoriumsfrage, die nach der Zustimmung des Rats dank einem bereits angekündigten Behördenreferendum an die Urne käme. Eine zweite Abstimmung wird nötig, wenn die Pläne für die Verlängerung konkretisiert sind. Gemäss Flughafengesetz sind Änderungen am Pistensystem dem Volk vorzulegen. Nun hat man bei den Befürwortern einer Verlängerung richtig erkannt, dass die nördliche Kantonshälfte deutlich dünner bevölkert ist als die südliche und dass die Mehrheitsverhältnisse bei einer Volksabstimmung anders gelagert sein dürften als im Kantonsrat. Das ist keine unrealistische Hoffnung. Der Süden wird allerdings einer Verlängerung nur zustimmen, wenn konkrete Zusagen für die Entlastung vorliegen. Diese wiederum wird man nur machen können, wenn Deutschland einlenkt. Deutschland seinerseits wird aber kaum einlenken, bevor eine Mehrheit für die Pistenverlängerung vorliegt.
Keine Lösung ohne Kompromiss
Geht man aber einmal davon aus, dass die Abstimmungen gewonnen werden, gerät das Projekt Pistenverlängerung bereits ins nächste Problemfeld. Im Kanton Zürich bliebe eine stattliche Mehrheit von Frustrierten in stark überflogenen Gebieten zurück. Dass nach Volksabstimmungen die Minderheit die bittere Pille schlucken muss, gehört zur Demokratie. In diesem Fall wohnt der Mehrheitsfindung aber bereits der Kern des Scheiterns ein. Die Pistenverlängerung hat weit über die Zürcher Grenzen hinaus Gegner. Man denke nur an die Ostschweizer Kantone und den Aargau, wo die Skeptiker einer vermehrten Nutzung der Westpiste weit verbreitet sind.
Es zeichnet sich schon heute eine Fortsetzung des zähen schweizinternen Konflikts ab, der seit Jahren zukunftsweisende Lösungen mit verbaut. Dem Handel Pistenverlängerung gegen deutsche Konzessionen droht damit das gleiche Schicksal wie der Paketlösung. Dieser vom Aussenministerium lancierte Ansatz wurde im April von der deutschen Bundeskanzlerin Merkel locker vom Tisch gewischt. Das Paket scheiterte nicht nur, weil es in Bern beim Verkehrsminister auf Ablehnung stiess, sondern auch, weil die Angebote wie ein deutsches Autobahnteilstück auf Schweizer Boden hierzulande schon vor der Konkretisierung für Streit sorgten.
Wenn die Pistenverlängerungslösung nicht in feindeidgenössischen Grabenkämpfen untergehen soll, brauchen die Verantwortlichen auf Bundes-, Kantons- und Flughafenebene viel Fingerspitzengefühl. Der gordische Knoten muss gelöst und nicht durchhauen werden. Man wird nicht darum herumkommen, einen Ausgleich zu suchen und auch den Gebieten, die für starke Belastung vorgesehen sind, einige Zugeständnisse zu machen. Andernfalls wird es nicht möglich sein, den Kompromiss zu finden. Diesen braucht es jedoch dringend, um mit Deutschland geschlossen und einigermassen erfolgversprechend verhandeln zu können. ark.