Diese Woche räumt Raymond Cron nach viereinhalb Jahren seinen Posten als Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl). Er zieht eine positive Bilanz, hinterlässt aber auch einige Baustellen.
Interview Oliver Steimann und Patrick Huber
Raymond Cron, wenn Sie das heutige Bazl mit jenem Bundesamt vergleichen, das sie 2004 übernommen haben - welches sind die wichtigsten Unterschiede?
Das Bazl damals und heute sind zwei komplett verschiedene Ämter. Heute sind wir ein modernes Bundesamt mit ISO-zertifiziertem Managementsystem und einer Struktur, in der Sicherheitsaufgaben und Luftfahrtentwicklung sauber getrennt sind. Ein wichtiges Element ist auch der Ausbau von 170 auf 250 Stellen - und dies in einem Umfeld, in dem in der Bundesverwaltung in der Regel abgebaut wurde. Wir haben zudem ein Sicherheitsmanagementsystem eingeführt, das weltweit zu den fortschrittlichsten gehört.
War es für Sie ein Nachteil, damals als Branchenfremder einzusteigen?
Nein. Ich meine sogar, dass es ein Vorteil war. Ich kannte niemanden in der Luftfahrtbranche und brauchte daher auf keine alten Geschichten Rücksicht zu nehmen. Wichtig war vielmehr, dass ich bereits Erfahrungen mit der Umstellung ganzer Organisationen gesammelt hatte. Selbstverständlich musste ich mich aber sehr rasch in die verschiedenen Dossiers einarbeiten.
Selbst fliegen Sie aber nach wie vor nicht?
(schmunzelt) Nein, das war nie ein Thema und steht auch momentan nicht auf meiner Agenda.
Eine unabhängigere Behörde, eine Stärkung der Kontrollfunktion - damit haben Sie sich innerhalb der Branche wahrscheinlich nicht nur Freunde gemacht.
Mit der Branche - insbesondere mit der kommerziellen Luftfahrt - wurde ein konstruktiver Dialog gepflegt, bei dem jeder seine Rolle hatte. Natürlich gab es Situationen, in denen ich als Chef der Aufsichtsbehörde Entscheide durchsetzen musste, an denen die Branche keine Freude hatte. Ein Beispiel dafür ist die 2004 angeordnete Vergrösserung der Sicherheitsabstände auf dem Flughafen Zürich bei gleichzei-tigen Starts auf der Piste 16 und Landungen auf der Piste 14. Aber es wurde anerkannt, dass wir versuchen, einen professionellen Job zu machen und Lösungen wenn immer möglich im Dialog zu entwickeln.
Die Luftfahrtindustrie ist seit Jahren auf rigorosem Sparkurs. Erzeugt das nicht einen Gegendruck gegen rigidere Sicherheitsvorschriften und die damit verbundenen Kosten?
Selbstverständlich. Der Zielkonflikt zwischen sicherheitsrelevanten Vorgaben und wirtschaftlichen Vorstellungen gehört zum täglichen Geschäft. Andererseits ist in der Luftfahrtindustrie allen klar, dass ohne Sicherheit alles in Frage gestellt ist. Eine Firma, die in Sachen Sicherheit ein Imageproblem bekommt, stürzt ab - und zwar ökonomisch. So wie es kürzlich bei der Span-air geschah.
Eines der grössten Projekte Ihrer Amtszeit war der Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt (SIL) für den Zürcher Flughafen. Sind Sie mit dem Erreichten zufrieden?
Es ist nicht an mir, dies zu beurteilen. Doch ist es gelungen, zusammen mit dem Kanton und Flughafen Zürich einen stabilen und transparenten Prozess auf die Beine zu stellen. Alle technisch machbaren Betriebsformen wurden in Form von 19 Varianten auf den Tisch gelegt. Das hat unter anderem dazu geführt, dass Deutschland nicht länger behaupten konnte, dass wir zum vornherein gewisse Szenarien ausschliessen würden. Heute haben wir noch drei Varianten auf dem Tisch, die einerseits dem Flughafen Entwicklungsspielraum lassen und andererseits auch auf die Bedürfnisse des Umfelds Rücksicht nehmen. Wir propagieren damit kein grenzenloses Wachstum und haben genügend Spielraum, um auch mit Deutschland Lösungen zu finden.
Hat sich denn die Situation mit Deutschland in diesen vier Jahren entspannt?
Mit Deutschland ist man ganz sicher weitergekommen. Das begann beim Kauf der Swiss durch die Lufthansa, der die Wiederaufnahme der Gespräche mit Berlin erleichterte. Die gegenseitige Akzeptanz über den Rhein hinweg hat zugenommen. Und der Weg, welcher nach dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Schweiz eingeschlagen wurde, führt in die richtige Richtung. Selbstverständlich muss die Schweiz, wenn die gemeinsamen Lärmmessungen abgeschlossen sind, dann mit einem guten Vorschlag aufwarten.
Im SIL-Pozess stand die Sammlung von Daten ganz am Anfang. Macht es Sinn, nun mit Deutschland wieder auf Feld eins zurückzugehen?
Von Feld eins kann keine Rede sein, denn mit Deutschland nehmen wir die Lärmberechnungen jetzt mit einer anderen Methodik vor und rechnen sie nach dem deutschen Fluglärmgesetz. In den Diskussionen ist immer wieder das Problem aufgetaucht, dass Deutschland unsere Grundlagen nicht anerkannt hat.
Aber Sie gehen davon aus, dass die Resultate dieselben sein werden.
Die Lärmauswirkungen des Zürcher Flughafens sind bekannt. Daher ist auch klar, dass aus diesen Berechnungen nichts Neues resultieren wird. Neu aber ist die Qualität der Daten, die von einem unabhängigen Institut berechnet und von beiden Seiten als gemeinsame Datenbasis anerkannt werden.
War es nicht etwas voreilig, bereits jetzt auf eine Betriebsvariante mit Parallelpisten zu verzichten?
Dieser Einwand ist berechtigt, die Frage haben wir beim Bund ausgiebig diskutiert. Doch die Regierung des Kantons Zürich hat sich klar positioniert und diese Variante abgelehnt, weil die Auswirkungen auf die Strukturen rund um den Flughafen zu gross wären. Wir haben uns dieser Einschätzung nach intensiven Überlegungen angeschlossen. Man ist heute auch etwas davon abgekommen, bei der Variantenwahl auf eine möglichst hohe Zahl von Flugbewegungen pro Jahr zu fokussieren. Wichtig für einen Netzwerkcarrier wie die Swiss ist vielmehr eine möglichst hohe Stundenkapazität. Und unter diesem Aspekt kann man auf eine Parallelpiste ohne grosse Einbussen verzichten.
Hat man von Bern aus gelegentlich Mühe, den wirren Zürcher Fluglärmstreit zu verstehen?
Wir sind uns bewusst, dass die Problematik sehr komplex und vielschichtig ist. Deshalb pflegen wir auch einen engen Kontakt zum Zürcher Umfeld und sind in der Lage, die Zusammenhänge, verschiedenen Strömungen und Reaktionen einzuordnen. Für mich ist klar, dass eine Lösung des Problems nur möglich ist, wenn alle Schlüsselfiguren im gleichen Boot sitzen und bereit sind, auch neue Ansätze zu verfolgen. Wie beispielsweise das Nord-/Ost-Konzept mit einer Pistenverlängerung, das in der SIL-Variante J vorgesehen ist.
Glauben Sie denn, dass eine solche Pistenverlängerung im Kanton Zürich mehrheitsfähig wäre?
Ich bin nicht in der Zürcher Politik aktiv. Aber ohne Zugeständnisse von deutscher Seite bei der Regelung der Anflüge macht es keinen Sinn, ein solches Projekt zur Abstimmung zu bringen. Und es muss auch klar sein, was die Alternativen sind. Es ist eine Stärke unseres Systems, dass die Bevölkerung schliesslich zwischen unterschiedlichen Szenarien wird auswählen können.
Waren Sie persönlich vor Ort, um die Süd- und die Ostanflüge zu erleben?
Ja. Und ich wohne 4 Kilometer von der Pistenschwelle des Flughafens Basel-Mulhouse entfernt und weiss, was Fluglärm ist.
Dennoch sind Sie, insbesondere seit der Ablehnung des gekröpften Nordanflugs, für viele «Schneiser» ein rotes Tuch. Haben Sie auch persönliche Anfeindungen erleben müssen?
Ich bekomme das ziemlich direkt zu spüren. Gelegentlich werde ich auf der Strasse angegangen. Nicht nur in Zürich, sondern auch in Basel. Problematisch wird es dann, wenn auch die Familie darunter zu leiden hat.
Südlich des Zürcher Flughafens fürchtet man sich derzeit vor allem vor der Einführung von direkten Südstarts. Wieso wurden solche plötzlich in die Planungen aufgenommen?
Das hängt mit dem bereits angesprochenen Thema der Spitzenkapazität zusammen. Direkte Südstarts sind eine Möglichkeit, den Betrieb zu Spitzenzeiten stabiler zu machen und die Kapazität noch etwas mehr zu optimieren. Doch bevor wir dazu einen Entscheid fällen können, müssen wir über die Lärmauswirkungen Bescheid wissen. Denkbar sind sie wohl nur tagsüber und unter gewissen Rahmenbedingungen - beispielsweise, indem man für diese Starts eine gewisse Steigfähigkeit der Flugzeuge vorschreibt. In diesem Zusammenhang ist aber noch gar nichts entschieden worden. Die Resultate der Lärmberechnungen werden im nächsten Frühjahr vorliegen.
Der gekröpfte Nordanflug (GNA) als Alternative ist im ersten Anlauf gescheitert. Wie schätzen Sie den Zeithorizont für ein modernes, satellitengestütztes Verfahren ein?
Es wäre reines Kaffeesatzlesen, wenn ich hier eine konkretes Datum nennen würde, denn es wird wohl noch einige Jahre dauern. Die satellitengestützte Navigation wird mit Sicherheit nicht in der Schweiz isoliert eingeführt, sondern europaweit. Die entsprechenden Arbeiten wurden angepackt, und es ist sicher eine denkbare Option.
Den alten Zustand vor den deutschen Einschränkungen wieder herzustellen, ist für Sie kein Thema mehr?
Eine Rückkehr zu einer Situation wie im Jahr 2000 ist unrealistisch. Erstens wird Deutschland nie dazu Hand bieten. Zweitens hatte man damals nachts gegenläufigen Verkehr, mit Landungen von und Starts nach Norden. Aus Gründen der Sicherheit und der Kapazität will das heute niemand mehr. Deshalb sollte man keine Zeit mehr damit verschwenden.
Kommentar VFSN: Überall wo Sicherheit drauf steht ist Kapazitätssteigerung drin...
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