Der Rentner Hannes Maurer* hat sich sein ganzes Leben nie etwas zuschulden kommen lassen. Er war in der Geschäftsleitung eines multinationalen Unternehmens tätig, als Offizier leistete er seinen Dienst fürs Vaterland, und er beglich immer pünktlich seine Steuerrechnung – bis im letzten Jahr. «Seit 2007 zahle ich keine Bundessteuern mehr», sagt der Gockhauser. Für Maurer ist dies eine Form des Protests gegen die nach seiner Ansicht «illegalen Südanflüge». Jeden Morgen werde er zusammen mit Tausenden weiteren Betroffenen vom Fluglärm geweckt, «und das nun seit fünf Jahren». Maurer fühlt sich vom Staat und den Gerichten im Stich gelassen, er hat den Respekt vor den Volksvertretern verloren. «Beschwerden werden systematisch schubladisiert. Die Gerichte werden vom Bund unter Druck gesetzt und getrauen sich nicht, auf unsere Vorstösse einzugehen», ist er überzeugt. «Und weil der Bund uns das Recht verwehrt, verweigern wir den Gehorsam und verursachen den Behörden Umtriebe und Kosten. Dazu ist halt ein bisschen Zivilcourage nötig.»
In seiner Ohnmacht nimmt Maurer auch in Kauf, dass er den Rechtsweg beschreiten muss. Er, der höchstens mal eine Parkbusse unter dem Scheibenwischer hatte. Bisher blieb sein Steuerboykott allerdings ohne Folgen: Maurer erhielt erst eine Mahnung. Vor einer möglichen Betreibung hat er keine Angst. In dem Fall würde er sich einen Anwalt nehmen und Rechtsvorschlag erheben. Das hätten andere vor ihm auch schon gemacht – damit sei die Angelegenheit erst einmal vom Tisch gewesen. Der Trick bei der Sache: Die Boykotteure berufen sich darauf, die Steuerrechnung nicht erhalten zu haben. Sein Umfeld reagiere teilweise verwundert auf seinen Steuerboykott, sagt Maurer, negative Äusserungen habe er kaum je gehört. «Viele sind überrascht, dass ich bisher erst eine Mahnung im Briefkasten hatte.»
Viel Aufwand und zusätzliche Kosten
Bereits seit rund vier Jahren bezahlt Arnold Bühler* keinen Franken Bundessteuern mehr. Auch er wohnt in der Südschneise und wird jeden Morgen um 6 Uhr aus dem Schlaf gerissen. Bühler kritisiert, dass die Südanflüge per Notrecht eingeführt wurden – «eine Massnahme, mit der im Krieg oder nach Terroranschlägen geltendes Recht wenn nötig für kurze Zeit ausser Kraft gesetzt werden kann». So aber stütze der Bund seit fünf Jahren die «überrissenen» Wachstumspläne und die weit überdimensionierte Infrastruktur der Flughafenbetreiberin Unique. Die Südanflüge verletzten das Raumplanungsgesetz, die Lärmschutzgesetzgebung und den Verkehrsrichtplan, und sie stellten im dicht besiedelten Anflugkorridor eine grosse Gefahr dar, ist Bühler überzeugt.
«Wenn Betroffene und Fluglärmorganisationen den Rechtsweg beschreiten, werden die Beschwerden verschleppt. In den vergangenen fünf Jahren ist keine einzige Beschwerde behandelt und erledigt worden», weiss Bühler. Auch er vermutet «gewisse Verbindungen» zwischen der Bundesregierung und den Gerichten und spricht von einem Vertrauensverlust in den Staat. «Ich käme mir blöd vor, wenn ich einem solchen Staat auch noch Steuern bezahlen würde.» Verwandte und Bekannte reagierten unterschiedlich auf sein Vorgehen, sagt Bühler. Wer die Situation kenne, habe vollstes Verständnis. Doch Leute, die woanders wohnten, könnten sich nicht vorstellen, dass die Bewohner der Südschneise jeden Morgen durch «kriegsähnlichen Lärm» geweckt würden. Bühler glaubt nicht zuletzt deshalb an die Wirksamkeit seines Vorgehens, weil er sich nicht allein weiss. «Hunderte machen mit», gibt er an, «und verursachen den Behörden damit viel Aufwand und zusätzliche Kosten.»
Keine Alarmstimmung auf dem Amt
«Wir haben keine aussergewöhnliche Häufung von Fällen, in denen die Steuern nicht bezahlt wurden», sagt hingegen Adrian Hug, Chef des kantonalen Steueramts. Allerdings, so räumt er ein, würde die Inkassostelle die Zahlen nicht nach Gemeinden erheben, es sei also nicht auf den ersten Blick ersichtlich, ob es in einer gewissen Region eine Zunahme gegeben habe. «Dies könnte dann aber zum Beispiel auch eine Folge der Finanzkrise sein», hält Hug fest. «Bei uns herrscht jedenfalls keine Alarmstimmung.» Schneiser Arnold Bühler stellt diese Aussage in Frage: «Damit will man uns nur den Wind aus den Segeln nehmen.» Allerdings hatte auch eine frühere TA-Umfrage auf den Steuerämtern der betroffenen Gemeinden in der Anflugschneise ergeben, dass diese vom Steuerboykott nichts spürten.
* Namen geändert.
So läuft der Steuerboykott ab
Die Boykotteure machen sich ein Schlupfloch zu Nutze: Sie reagieren weder auf Rechnungen noch auf Mahnungen. Wenn das Betreibungsbegehren eintrifft, erheben sie Rechtsvorschlag, worauf sie eine Gerichtsvorladung erhalten – so der Leitfaden auf der Website www.steuerboykott.ch. Vor Gericht wird argumentiert, dass die Steuerbehörde die Zustellung der Veranlagungsverfügung oder der Steuerrechnung nicht beweisen könne. Darauf, so ist auf der Website weiter zu lesen, lehne das Gericht das Rechtsöffnungsbegehren ab und spreche der Partei eine Entschädigung zu. In der Folge müsse der Eintrag im Betreibungsregister wieder gelöscht werden. Nach dem langwierigen Verfahren schickt die Steuerbehörde eingeschrieben die Steuerrechnung mit Veranlagungsverfügung. Hier raten die Autoren der Website, den Steuerbetrag zu begleichen – nicht aber die Verzugszinsen. Wenn diese eingefordert werden, beginnt das gleiche Spiel wieder von vorne. (tba)