«Verliererin beim Gekröpften ist unsere Bevölkerung» (TA)

Publiziert von VFSNinfo am

Regierungsrätin Rita Fuhrer kritisiert den Bund heftig. Beim gekröpften Nordanflug habe er sich vier Jahre Zeit gelassen, um plötzlich die Kriterien zu ändern.

Mit Regierungsrätin Rita Fuhrer sprach Ruedi Baumann

Sie sind Siegerin beim Verzicht auf die Parallelpiste und Verliererin beim gekröpften Nordanflug. Welches Gefühl obsiegt?

Verliererin beim Gekröpften ist unsere Bevölkerung im Kanton Zürich. Der Bund hat uns vier Jahre lang Hoffnung gemacht. Mit sehr viel Aufwand und etlichen Nachbesserungen haben wir erreicht, dass das Verfahren die internationalen Anforderungen erfüllt. Dass ein Sichtanflug nicht mit einem Instrumentenanflug verglichen werden kann, haben alle schon vor vier Jahren gewusst. Da hätte es weder aufwändige Berechnungen noch das Schüren intensiver Hoffnungen gebraucht.

Aber gerade Sie selber haben den Leuten im Süden des Flughafens immer wieder Hoffnungen mit dem Gekröpften gemacht.

Natürlich habe ich mich engagiert. Mit dem Bund, dem Flughafen und Skyguide haben wir im März 2004 allerdings genaue Kriterien festgelegt und internationale Sicherheitsanforderungen ins Zentrum gestellt. Wenn der Bund diese Kriterien nun plötzlich ändert, fühlen wir uns verschaukelt.

Für das Bundesamt gilt «Safety first»; es stuft den Gekröpften als weniger sicher ein als einen Instrumentenlandeanflug. Gilt denn die Forderung nach maximaler Sicherheit für den Regierungsrat nicht?

Entweder ist ein Anflug sicher oder nicht sicher, für mich gibt es nicht verschiedene Stufen von Sicherheit. Wenn der Bund sich nun plötzlich hinter dem absolut sichersten Anflugverfahren versteckt, dann müssten wir konsequenterweise zurück zum Nordanflug. Der Bund hat einen politischen Entscheid gefällt.

Warum ein politischer Entscheid? Dass der Gekröpfte Sicherheitsmängel aufweist, ist eine technisch-statistische Feststellung.

Politisch ist, dass man die beiden Landesysteme einander gegenüberstellt. Wenn das wirklich ein Entscheid des Bundesamtes für Zivilluftfahrt wäre, hätte das Bazl vor vier Jahren entscheiden können.

Heisst das, Bundesrat Leuenberger hat entschieden und mit dem Gekröpften den Deutschen im Hinblick auf die Verhandlungen ein Zückerchen gegeben?

Es ist schon klar, dass sich die Deutschen gegen den Gekröpften wehren. Ebenso klar ist aber auch, dass kein deutsches Gebiet überflogen wird. Wir hatten Deutschland - im Einverständnis mit allen Grenzkantonen - ein sehr gutes Angebot zur Zusammenarbeit unterbreitet. Bundeskanzlerin Merkel hat dieses Angebot auf die Seite gelegt und Lärmberechnungen in den Vordergrund gestellt.

Was spricht gegen diese Berechnungen?

Nichts, im Gegenteil! Die Zürcher Regierung ist der Meinung, dass zuerst diese Berechnungen abgeschlossen werden sollten. Dann hätten wir bei den Gesprächen mit Deutschland eine klare Ausgangslage. Stattdessen hat das Bundesamt zur Unzeit über das weitere Vorgehen entschieden.

Weshalb zur Unzeit?

Diese Auswahlsendung ist falsch, man hätte zuerst die Belastungsberechnungen abschliessen und dann eine einzige Betriebsvariante weiterverfolgen sollen.

Ist man mit drei Varianten nicht flexibler bei den Verhandlungen mit Deutschland?

Wir wollen nicht Flexibilität für diese Verhandlungen, sondern Rechtssicherheit für unsere Bevölkerung.

Welche Variante würden Sie bevorzugen?

Eine ohne die heutige deutsche Beschränkung, aber mit einer Entlastung für Deutschland im Vergleich zu früher. Aber da hätten wir zuerst die gemeinsame Belastungsmessung abwarten müssen.

Ist das nicht etwas blauäugig, der Bevölkerung nun wieder Hoffnungen mit neuen Berechnungen und Verhandlungen zu machen?

Politischer Kampf ist nie blauäugig. Man kann immer verhandeln  geschickt oder weniger geschickt.

Trotzdem: Teilen Sie den Eindruck, dass sich am Anflugverfahren in den nächsten zehn Jahren nichts ändert?

In der Bevölkerung spürt man tatsächlich eine gewisse Resignation, das ist schade. Ich bin fest überzeugt, dass die deutsche Wirtschaft unser Verhandlungsangebot nicht einfach ignorieren kann.

Frau Merkel aber kann das.

Im Moment vielleicht. Sie hat aber ausdrücklich «zurzeit» gesagt - Frau Merkel überlegt sich ihre Worte sehr genau.

Tages-Anzeiger, 03.07.2008


siehe auch:
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