Das Angebot steht: Die Schweiz will ihren nördlichen Nachbarn an den Verhandlungstisch locken mit verschiedenen grenzüberschreitenden Projekten. Zur Offerte gehören der Ausbau der S-Bahn von Zürich nach Waldshut und die Lockerung des Nachtfahrverbots für Lastwagen im Grenzraum Basel. Ziel ist es, den Fluglärmstreit zwischen den beiden Ländern zu entschärfen und Neuverhandlungen für einen Staatsvertrag aufzugleisen.
Vor diesem Hintergrund erhält der Staatsbesuch Angela Merkels heute Dienstag besonderes Gewicht. Aus Sorge um die florierenden Handelsbeziehungen mit Deutschland hat die Schweizer Wirtschaft in den vergangenen Wochen sukzessive Druck aufgebaut. Die deutsche Bundeskanzlerin, so die Forderung, müsse sich zur Retterin im Fluglärmstreit aufschwingen.
Angst vor Diktat aus Bern und BerlinÄhnlich tönt es in der Flughafenregion. «Wir erwarten, dass Frau Merkel einen entscheidenden Schritt zu einer Lösung macht», sagt Felix Jaccaz, Präsident des Dachverbandes Fluglärmschutz (DVFS). Die Kanzlerin müsse das «sture Nein» der süddeutschen Politiker durchbrechen. Fritz Kauf, Kopräsident der Vereinigung Bürgerprotest Fluglärm Ost (BFO), legt Merkel nahe, das «lokale Problem Waldshut» aus der übergeordneten Perspektive Berlins zu beurteilen. Allerdings, so schränkt er ein, müssten sich Berlin und Bern auf die Funktion des Türöffners beschränken. Keinesfalls dürften sie den vom Fluglärm belasteten Regionen eine Lösung aufzwingen. Einen tragfähigen Konsens ergebe sich nur dann, wenn der Kanton Zürich und das Bundesland Baden- Württemberg eine Einigung fänden. Gleich wie die Flughafenanrainer knüpfen auch die Regierungen von Stadt und Kanton Zürich Erwartungen an Merkels Visite. Stadtpräsident Elmar Ledergerber ist überzeugt: «Die Bundeskanzlerin kann Bewegung in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bringen.» Regierungspräsidentin Rita Fuhrer (SVP) erhofft sich «die Bereitschaft, das Schweizer Angebot ernst zu nehmen und auf konkrete Gespräche einzutreten». Offen lässt Fuhrer, wie die Zürcher Regierung reagieren wird, wenn die Blockade bestehen bleibt.
Dass Merkel den Weg für Neuverhandlungen ebnen wird, hält – trotz aufkeimender Hoffnung – aber kaum jemand für wahrscheinlich. Der Disput mit Deutschland, seit fünf Jahren ein emotional aufgeladenes Politikum, hat seine Spuren hinterlassen. Kurt Klose, der Präsident der Bürgerinitiative Fluglärmsolidarität, spricht der Kanzlerin schlicht den Willen ab, den Streit beizulegen. «Sie muss Rücksicht auf die Interessen der Süddeutschen nehmen », zeigt er sich überzeugt.
Auch DVFS-Präsident Jaccaz taxiert die Chancen als klein. Verantwortlich ist seiner Ansicht nach aber weniger Merkel als vielmehr die Einstellung des Bundesrats und der Zürcher Regierung. Sie würden nur ein Ziel verfolgen: das Wachstum des Flughafens Kloten. «Die deutsche Flughafenpolitik dient ihnen als Hebel, dem Flughafen Kloten neue An- und Abflugschneisen in der Schweiz zu erschliessen – ohne Rücksicht auf den Fluglärm», sagt Jaccaz.
Auch ohne Streit keine EntlastungKeine Illusionen macht sich Thomas Morf, Präsident des Vereins Flugschneise Süd – Nein (VFSN). Für ihn ist klar: Selbst die Aufhebung der einseitigen deutschen Flugbeschränkungen würde der Bevölkerung im Osten und im Süden des Airports keine Entlastung bringen. Der laufende Planungsprozess bezüglich der Infrastruktur des Flughafens Kloten zeige dies: Die Airport-Betreiberin Unique, der Regierungsrat und der Bund hätten sich zum Ziel gesetzt, permanent von Süden zu landen und zusätzlich nach Süden zu starten.