Kurz vor dem Besuch von Kanzlerin Merkel in Bern zeigt sich Baden-Württemberg bereit, neben dem Fluglärm über weitere Probleme an der Grenze zu verhandeln – wie es die Schweiz wünscht.
Francesco Benini
«Ich erwarte einen klaren Arbeitsauftrag mit einem Zeitplan.» So antwortete der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) am Freitag am Rande einer Veranstaltung in Zürich auf die Frage, mit welchem Ergebnis der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom kommenden 29. April in Bern enden werde. Oettingers Erwartung deckt sich mit jener des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Das Departement Calmy-Rey hofft, im Fluglärmstreit mit Deutschland einen Schritt voranzukommen, indem es weitere Fragen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in die Diskussion bringt. Die sogenannte Paketlösung ist in Deutschland bisher zurückgewiesen worden – hohe Politiker in Baden-Württemberg sind aber inzwischen mit diesem Vorgehen einverstanden, auch wenn sie nicht gerne von einem «Paket» sprechen.
Medien schwenken um
Der Präsident des baden-württembergischen Landtags, Peter Straub (CDU), erklärt, dass «Paketlösung» in Baden-Württemberg zu einem Unwort geworden sei. Man sei jedoch interessiert, «verschiedene Problembereiche zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz abzuarbeiten». Baden-Württemberg wolle «sachgerechte Lösungen in den einzelnen Punkten»; von einem Paket rede man besser nicht.
Neben dem Fluglärmstreit erwähnt Straub die Lastwagenstaus in Basel und Rheinfelden, gegen die Massnahmen ergriffen werden sollten. Die deutsche Autobahn 98 werde am besten von Westen nach Osten verbunden, indem man sie zum Teil über Schweizer Territorium führe. Laut Straub liegt hier ein Problem: «Es kann nicht sein, dass in Zürich schnell anders geflogen wird und wir vielleicht in 15 Jahren eine Strasse bekommen.» Deutschland könne Lösungen schneller umsetzen als die Schweiz, in der in vielen Fragen das Volk das letzte Wort habe. Der Parlamentspräsident rechnet mit «umfangreichen und langwierigen Verhandlungen» zwischen den beiden Ländern. Nicht nur süddeutsche Politiker sind damit einverstanden, mit der Schweiz über ein Gesamtpaket zu verhandeln (oder je nach Diktion Lösungen für grenzübergreifende Probleme zu suchen), auch die Medien freunden sich mit dem Schweizer Standpunkt an. In der Konstanzer Tageszeitung «Südkurier» kamen bisher vorwiegend Fluglärmgeplagte zu Wort, die gegen eine Änderung der deutschen Anflugregelung sind. Nun schreibt der Leiter des Wirtschaftsressorts einen Kommentar mit dem Titel «Jetzt oder nie». Viel zu lange blockiere der Flughafen-Streit die Lösung schweizerisch-deutscher Probleme; erwähnt werden Verkehrsfragen und Schwierigkeiten am Zoll. «Die Regionen auf beiden Seiten des Rheins sind zu sehr voneinander abhängig, als dass man auf stur schalten könnte», so die neue Position des Blatts. Der Zeitpunkt für Gespräche sei günstig. In Baden-Württemberg finden in diesem Jahr keine Wahlen statt, was den Politikern die Verhandlungen mit der Schweiz erleichtert. Unterstützt werden die Schweizer Bemühungen für ein Gesamtpaket mit Baden-Württemberg von Wirtschaftsverbänden mit Mitgliedern auf beiden Seiten der Grenze. Ministerpräsident Oettinger machte am Freitag vor einem Unternehmerverband keine konkreten Aussagen zum Fluglärmstreit. Er sandte aber freundschaftliche Signale an die Schweiz aus, indem er für die Aufhebung der Grenzkontrollen zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz plädierte und eine enge Kooperation der Universitäten von Freiburg i. Br., Konstanz, Basel und Zürich anregte.
Umstrittene Autobahn
Um Deutschland zu einer Aufweichung seiner Sperrzeiten für Anflüge auf den Flughafen Zürich zu bewegen, will die Schweiz unter anderem eine Mitfinanzierung des S-Bahn-Anschlusses von Waldshut nach Zürich prüfen sowie Ausnahmen vom Nachtfahrverbot für Lastwagen aus Deutschland, eine Beteiligung Baden-Württembergs am Flughafen Zürich und die Machbarkeit einer Streckenführung der deutschen Autobahn 98 über Schweizer Gebiet. Der Kanton Schaffhausen lehnt ein solches Teilstück kategorisch ab, während die Zürcher Volkswirtschaftsdirektion ausweicht: Die Ost-West-Anbindung sei nicht das einzige Thema in den Gesprächen mit Deutschland.