Unmittelbar nach den Spielen der Euro 08 im kommenden Juni sollen Tausende von Fussballfans ins Heimatland zurückgeflogen werden. Der Bundesrat hat deshalb, entgegen seinen bisherigen Beteuerungen, eine massive Lockerung des Nachtflugverbots verordnet.
-yr. Keine zwei Monate vor dem Eröffnungsspiel der Fussball-Europameisterschaft ist der Bundesrat mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gelangt, mit der er seine bis vor kurzem abgegebenen Beteuerungen in den Wind schlägt. Auf dem Verordnungsweg werden für die Euro 08, die vom 7. bis zum 29. Juni dauert, auf den drei Flughäfen in Zürich, Genf und Bern bis zu 540 Flüge während der Nachtflugsperre bewilligt. Mit diesen Sonderflügen sollen Tausende von Fans in ihr Heimatland zurückreisen können, denen keine Übernachtungsmöglichkeit in der Schweiz angeboten werden kann. Verärgert ist insbesondere der Zürcher Regierungsrat, der sich und die Bevölkerung von den Bundesbehörden ausgetrickst fühlt. Nur widerwillig beugt er sich dem seiner Ansicht nach verordneten Zwang, für die Nachtflüge ein Gesuch einzureichen.
Leuenbergers falsche Beteuerungen
Noch Anfang März waren sich eine grosse Mehrheit im Kantonsrat und der Regierungsrat einig: Auf dem Flughafen Zürich soll das Nachtflugverbot während der Euro 08 nur in ganz wenigen Ausnahmefällen aufgehoben werden, etwa wenn ein erhebliches Sicherheitsrisiko besteht. Diese Gefahr zeichnet sich nach Einschätzung des Regierungsrats für ein einziges Spiel ab. Es handelt sich um die Revanche des letzten WM-Finals zwischen Italien und Frankreich, die am 17. Juni im Letzigrund-Stadion ausgetragen wird. Entsprechend wollte der Kanton Zürich sein Gesuch um eine Aufhebung der Nachtflugsperre auf dieses eine Spiel begrenzen.
Kurz darauf bekräftigte Bundesrat Moritz Leuenberger in seiner Antwort auf eine Anfrage von Nationalrätin Marlies Bänziger (gp.) diesen Grundsatz. Flüge während der Nachtflugsperre sollten einzig aus Sicherheitsgründen und für die Mannschaften bewilligt werden. «Nur in diesem sehr engen Rahmen sollen Ausnahmen möglich sein», heisst es wörtlich in der Antwort von Bundesrat Leuenberger. Und weiter: «Dabei ist ganz klar, dass keine Ausnahmen vom Nachtflugverbot genehmigt werden, nur um irgendwelche Personengruppen nach einem Spiel möglichst rasch in ihre Heimat zurückzubringen.»
Zwei Monate nach dieser Erklärung verkündet der Bundesrat aber genau dies. In einer Sonderverordnung werde dem Bundesamt für Zivilluftfahrt die Möglichkeit eingeräumt, während der Euro 08 an jedem der neun Spieltage für die drei Flughäfen je maximal 20 Abflüge zu bewilligen, heisst es in einer am Donnerstag vom VBS verbreiteten Pressemitteilung. Begründet wird die Sonderregelung mit der Bewältigung der grossen Besuchermassen und der Minimierung der Sicherheitsrisiken. Die Kapazitäten der Schweizer Hotellerie reichten nicht aus, wodurch die Fans gezwungen wären, in Innenstädten, Flughäfen und Bahnhöfen zu übernachten. Dies sei dem Image der Schweiz nicht förderlich.
Abschiebung der Verantwortung
Der Regierungsrat ärgert sich insbesondere darüber, dass der Bund nicht von Anfang an ehrlich und transparent informiert habe, wie Rita Fuhrer und Hans Hollenstein an einer Medienkonferenz sagten. So habe der Engpass in der Hotellerie den Bundesbehörden schon seit längerer Zeit klar sein müssen. Eine umfassende Information der Bevölkerung wäre deshalb angebracht gewesen. Jetzt werde die Verantwortung an die Kantone abgeschoben, indem sie formell ein Gesuch einreichen müssen. Dieses Vorgehen erachte der Regierungsrat als unannehmbar.
Zwar werde sich die Zürcher Regierung diesem Druck widerwillig beugen, um gegenüber den anderen Austragungsorten nicht als unsolidarisch zu erscheinen. Aber mit dem Gesuch verbindet der Regierungsrat verschiedene Bedingungen. So wird eine Beschränkung auf 20 Abflüge verlangt, nicht erlaubt sind Anflüge und Leerflüge. Im Weiteren sollen die leisesten Flugzeuge eingesetzt werden, und die Sonderflüge seien nur bis 2 Uhr zu gestatten. Der Bund hingegen will bis 6 Uhr fliegen können. Offenbar liegen bereits Gesuche für über 580 Flüge mit einer Kapazität von 43 000 Passagieren vor. Weitere Gesuche werden erwartet, die nicht alle bewilligt werden können.
Neben dem Regierungsrat beschweren sich auch die Grüne und die Grünliberale Partei, die Region Ost und der Bürgerprotest Fluglärm Ost sowie der Verein Flugschneise Süd – Nein. Kritisiert werden fehlendes Fingerspitzengefühl und der «Betrug» an der Bevölkerung durch die Bundesbehörden. An die Kasse kommt aber auch die Zürcher Regierung für ihr «doppelbödiges Spiel».
Weiter Weg für Italiens Squadra
-yr. Neben den Fussballfans, die unmittelbar nach den EM-Spielen in ihr Heimatland zurückgeflogen werden, gilt die Sonderregelung zur Aufhebung des Nachtflugverbots auch für die Teams. So bestreitet Weltmeister Italien zwar seine drei Gruppenspiele in der Schweiz, logiert aber in Wien. Sämtliche Versuche, für die «squadra azzurra» in der Umgebung von Zürich eine passende Unterkunft zu finden, scheiterten. Dies hat zur Folge, dass das Team nach den Spielen für den 900 Kilometer weiten Rückweg jeweils ins Flugzeug steigen wird. Dasselbe gilt für die Anreise, wobei diese laut Vorschrift der Uefa einen Tag vor dem Spiel zu erfolgen hat. Die Nacht vor dem Spiel wird in einem sogenannten Transferhotel verbracht. Ebenfalls in der Schweiz spielen, aber in Österreich logieren wird die tschechische Nationalmannschaft. Den umgekehrten Weg gehen die Deutschen und die Schweden: Sie haben sich Hotels im Tessin ausgewählt, spielen aber in Österreich.
siehe auch:
Medienmitteilung zu den EURO-Nachtflügen (VFSN)
Verordnung über die Nachtflüge während der Fussball-Europameisterschaft 2008 (VBS)
RR reagiert mit Unverständnis auf Verordnung des Bundes über Nachtflüge während der EURO (RR)