5-Punkte-Plan gegen Fluglärmstreit (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Ehemaliger SP-Präsident Hans-Jürg Fehr weibelt in Berlin für eine Paketlösung

Bringt der Ausbau von Bahnlinien in Süddeutschland das Ende des Fluglärmstreits? Das jedenfalls hofft der ehemalige SP-Präsident Hans-Jürg Fehr. Von seinem Plan will er nun Politiker in Berlin überzeugen.

Pascal Hollenstein

Vier Jahre ist es her, seit Deutschland die Nordanflüge auf den Flughafen Zürich mit einer einseitigen Verordnung eingeschränkt hat. An der Zürcher Goldküste, aber auch im Stadtzürcher Quartier Schwamendingen führte dies zu einer starken Zunahme der Lärmbelastung. In der Diskussion, wie man mit Deutschland im Dossier zu einer Lösung kommen könnte, ist immer wieder von einem «Paket» die Rede. Zuletzt hat der Bundesrat im Dezember die Frage beraten. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey führte dabei die Weiterführung der Hochrhein-Autobahn A 98 durch den Kanton Schaffhausen und das Zürcher Weinland als mögliche Offerte an Berlin ins Feld. Klar ist aber, dass diese Strassen-Option in den betroffenen Regionen auf Widerstand stösst. Zudem waren auch die Reaktionen im Schwarzwald auf das mögliche Angebot Strasse gegen Lärm verhalten.

Im Vorfeld des Besuchs der Deutschen Kanzlerin Angela Merkel am 29. April in der Schweiz lanciert jetzt der Schaffhauser Nationalrat und ehemalige SP-Präsident Hans-Jürg Fehr ein neues Konzept. Allerdings sucht Fehr das Heil nicht auf der Strasse. Vielmehr sollen Ausbau-Angebote bei der Schiene Deutschland zum Einlenken bewegen. Fehr hat hierzu einen 5-Punkte-Plan ausgearbeitet, den er ab dem 20. April in Berlin Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg erläutern will. Für Fehr ist klar, dass Berlin einer Lösung nur zustimmt, wenn Baden-Württemberg einverstanden ist. Habe man Stuttgart aber im Boot, dann sei das Problem auf Bundesebene rasch gelöst. Gesucht sei eine Offerte, an der im süddeutschen Raum ein hohes Interesse bestehe – so hoch, dass Baden-Württemberg im Gegenzug bereit wäre, etwas mehr Fluglärm als heute in Kauf zu nehmen.

Schneller nach Stuttgart

Konkret sieht Fehrs 5-Punkte-Plan vor, dass sich die Schweiz am Ausbau der Gäubahn beteiligt. Die Aufwertung der Eisenbahnstrecke zwischen Singen und Stuttgart steht bei süddeutschen Politikern schon lange ganz oben auf der Wunschliste. Berlin hat dem Drängen nun ein Stück weit nachgegeben und den Ausbau auf einen teilweise doppelspurigen Betrieb im Grundsatz beschlossen. Die Anliegergemeinden wollen sich an den Kosten zum Teil beteiligen. Dabei wurde auch ein Zuschuss aus der Schweiz diskutiert.

Fehrs Plan hakt hier ein. Er sieht vor, dass die Schweiz die Kosten von 10 Millionen Euro für eine erste Doppelspurinsel übernimmt. Eine Beteiligung an den weiteren Ausbauschritten von 35 Millionen Euro sei zu verhandeln. Insgesamt seien die Ausbauten so voranzutreiben, dass auf den Fahrplanwechsel 2012 hin ein Fahrzeitgewinn von 15 Minuten zwischen Zürich und Stuttgart realisiert werden könne. Eine entsprechende Motion hat Fehr bereits in der Frühlingssession eingereicht. Als zweites Projekt nennt Fehr die Bahnlinie Basel–Schaffhausen–Singen. Diese soll so weit mit Doppelspurstrecken aufgerüstet werden, dass sie im Halbstundentakt befahren werden kann. Drittens soll die Hochrhein-Bahn zwischen Basel und Schaffhausen durchgängig elektrifiziert werden. Damit erreiche man eine bessere Anbindung an andere Bahnstrecken. Gleichzeitig würden die Anliegergemeinden vom Lärm und den Emissionen der Diesel-Lokomotiven entlastet. Für die Elektrifizierung rechnet Fehr mit Kosten von 100 Millionen Euro.

Als viertes Element schlägt Fehr vor, dass Schweizer Halbtax- und Generalabonnemente künftig auf der Linie Basel–Schaffhausen–Singen gültig sein sollen. Dies würde für Pendler und Touristen auf beiden Seiten der Grenze eine erhebliche Verbesserung bringen.

Insgesamt rechnet Fehr bei einer Realisierung dieser vier Massnahmen mit Kosten von rund 200 Millionen Franken, die teilweise von der Schweiz zu übernehmen wären. Das vom Fluglärm betroffene Südbaden erhielte dafür ein deutlich verbessertes Bahnangebot, sowohl in die Schweiz als auch im innerdeutschen Verkehr. Auf Schweizer Seite würden die Kantone Schaffhausen, aber auch Zürich, Aargau und Basel profitieren. «An den Projekten besteht auf beiden Seiten der Grenze ein grosses Interesse. Das macht die Sache so reizvoll», sagt Fehr.

Vertrag aus der Schublade

Die Verhandlungen mit Deutschland sind nach Fehrs Plan vom Bund zu führen; denkbar sei es aber, dass der Bund einen Teil der Kosten auf den Flughafen oder die profitierenden Kantone umlagere. Als Gegenleistung zu den Investitionen in die Bahn soll der 2003 vom Schweizer Parlament abgelehnte Staatsvertrag über den Flughafen Zürich wieder aus der Schublade gezogen und von den Parlamenten beider Länder verabschiedet werden. Gegenüber der jetzigen Regelung würden einige süddeutsche Gemeinden mit etwas mehr Lärm leben müssen. Die Schweizer Gemeinden im Süden des Flughafens Zürich würden dagegen am Morgen, jene im Osten am Abend entlastet.

Fehr ist überzeugt, dass der Staatsvertrag von National- und Ständerat bei einem neuen Anlauf nun angenommen würde. Geht es nach seinen Vorstellungen, könnten Deutschland und die Schweiz noch in diesem Jahr handelseinig werden. Am Interesse der süddeutschen Politiker zweifelt er jedenfalls keine Sekunde: «Das ist das erste Mal, dass man den Süddeutschen im Austausch zur Lärmbelastung etwas anbietet, was sie selber wollen. Ich finde, dass das ein guter Deal ist.»

NZZ, 06.04.2008


Kommentar VFSN
Fluglärm an der Goldküste??? Nein!, siehe hier: Südanflüge - die betroffenen Gebiete. Diesen Punkte bitte korrigieren, Herr Hollenstein.

Den unbrauchbaren Staatsvertrag lassen wir wohl am besten dort wo er ist: in der Schublade!

Was von Hans-Jürg Fehr verschwiegen wird: Die Anzahl Nordanflüge sind im Staatsvertrag auf 80\'000 limitiert. Man rechne:
Bei 320\'000 Bewegungen (d.h.160\'000 Landungen) sind das 80\'000 Anflüge die über Süden oder Osten gehen würden. Wir sind gespannt darauf, wie Herr Fehr diese 80\'000 Anflüge "fairteilen" möchte. Und nicht vergessen: Der Flughafen geht immer noch von 420\'000 Bewegungen aus. Man rechne nochmals...


siehe auch:
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