«Wir wollen ausserhalb des aviatischen Bereichs wachsen» (NZZ)

Publiziert von VFSNinfo am
Der neue Flughafen-CEO Thomas Kern plant den Ausbau der Auslandaktivitäten und Projekte im Inland

Der Flughafen fordert zur Wahrung des Entwicklungsspielraums die raumplanerische Sicherung von Parallelpisten. Die grösste Herausforderung sieht Thomas Kern aber im Ausbau der Auslandaktivitäten und von Projekten im Inland, etwa auf dem Butzenbüel am Flughafenkopf.

Interview: ark.

Herr Kern, nach Ihrer Ernennung zum CEO wurde publik, dass Sie als Anwohner gegen Südanflüge gekämpft haben. Sind Sie noch Mitglied des Vereins «Flugschneise Süd – nein»?
Thomas Kern: Ich war nie Mitglied dieses Vereins. Ich hatte bei der Einführung der Südanflüge lediglich von meinem demokratischen Recht Gebrauch gemacht, mich gegen die neuen Überflüge zu wehren, indem ich eine Klage eingereicht habe. Diese habe ich vor meiner Wahl in den Verwaltungsrat von Unique zurückgezogen.

Wie ist heute Ihre Haltung gegenüber dem Widerstand im Süden des Flughafens?
Die Haltung ist geprägt von Respekt und Verständnis, aber auch von der klaren Überzeugung, dass der Flughafen Spielraum für seine Entwicklung braucht und dass der Betrieb heute und in Zukunft nicht ohne Lärmbelastung möglich ist.

«Anflüge müssen von Norden erfolgen»

Ist es demnach aus Ihrer Sicht klar, dass es auch künftig Südanflüge geben wird, unabhängig von den Entwicklungen im Verhältnis zu Deutschland?
Nein, denn genau dies ist Gegenstand des SIL-Prozesses und des bevorstehenden Koordinationsgesprächs 3. Es war und ist unsere klare Position, dass wir der Sicherheit oberste Priorität einräumen, dass wir den Lärm mit lärmabhängigen Abgaben reduzieren und möglichst wenige Menschen und insbesondere wenige Menschen neu belärmen wollen. Das bringt uns zur Erkenntnis, dass die Anflüge von Norden erfolgen müssen.

Im SIL-Prozess stehen drei Varianten zur Auswahl, eine mit und zwei ohne Pistenverlängerungen. Welche Variante bevorzugen Sie?
Unique hat keine Präferenz angemeldet. Letztlich wird das Stimmvolk zu entscheiden haben, ob es Pistenverlängerungen will. Wir können mit allen drei Varianten unseren Auftrag, den nachfrageorientierten Betrieb eines internationalen Drehkreuzes, heute und morgen erfüllen. Studien besagen aber, dass die Nachfrage in etwa zehn Jahren grösser sein wird als die Kapazität. Deshalb müssen wir uns fragen, ob wir unseren Kindern und Enkeln den Entwicklungsspielraum wörtlich verbauen wollen. Wenn wir das verneinen, dann gibt es aus heutiger Sicht nur eine Möglichkeit, nämlich die raumplanerische Sicherung einer Parallelpiste.

Ihr Vorgänger hat sich in politischen Fragen stark zurückgehalten, wie werden Sie das handhaben?
Zu viele Köche verderben den Brei, jeder muss seine Aufgabe machen. Unique macht keine Politik, und das gilt auch für mich. Wir unterstützen die Politik jedoch in Sach- und Fachfragen. Öffentliche Auftritte – etwa in den Standortgemeinden – gehören aber zu meinen Aufgaben.

Unique ist in einem Opfiker Entschädigungsfall vom Bundesgericht kürzlich zu höheren Zahlungen verpflichtet worden als angenommen. Erwarten Sie jetzt insgesamt höhere Kosten als bisher?
Ich möchte festhalten, dass die zugesprochenen Zahlungen nicht über unseren Erwartungen liegen. Damit beläuft sich der aus heutiger Sicht zu erwartende Gesamtbetrag nach wie vor auf 0,8 bis 1,2 Milliarden Franken. Nach Erledigung der restlichen 16 Opfiker Pilotfälle durch das Bundesgericht wollen wir rasch aktiv werden und die ausstehenden Fälle schnellstmöglich lösen.

Trotz dem unveränderten Voranschlag stellen Sie jedoch eine Erhöhung der Lärmgebühr von fünf auf zehn Franken pro abfliegenden Passagier in Aussicht.
Wie im Jahresbericht festgehalten, müssten die Lärmgebühren mittelfristig von fünf auf zehn Franken erhöht werden, wenn die erwarteten Zahlungen in der erwähnten Grössenordnung liegen. Es ist aber noch nichts entschieden.

Das klingt etwas widersprüchlich. Sie wissen zwar schon, dass der erwartete Betrag unverändert ist, trotzdem können Sie noch nicht sagen, ob eine Erhöhung der Lärmgebühr ansteht.
Das klingt tatsächlich etwas widersprüchlich, ist es aber nicht. Sollten die Kosten wider Erwarten zwischen 0,8 und 1,2 Milliarden Franken betragen, müssten wir die Gebühren erhöhen.

Die Sicherheitskosten wurden bereits deutlich erhöht. Ist eine weitere Erhöhung vorgesehen?
Wir hatten letztes Jahr im Sicherheitsbereich trotz zweimaliger Erhöhung der Gebühr eine Unterdeckung von über 14 Millionen Franken. Eine weitere Erhöhung im laufenden Jahr ist zwar nicht ausgeschlossen, aber eher unwahrscheinlich. Wir wissen aber nicht, welche neuen Sicherheitsauflagen in Zukunft verfügt werden.

«Dübendorf ist Ausweichmöglichkeit»

Der Flughafen bleibt eine Baustelle, befürchten Sie eine anhaltende Reduktion der Servicequalität?
Grosse Infrastrukturen wie ein Flughafen sind nie ganz fertig gebaut. Die fünfte Bauetappe ist abgeschlossen, nun folgen die Arbeiten für Schengen und die zentralisierte Sicherheitskontrolle. In der obersten Etage des Gebäudes, das die Sicherheitskontrolle beherbergen wird, entsteht ein gehobenes Restaurant, das wieder «Top-Air» heissen wird. Im Weiteren beginnen wir voraussichtlich nächste Woche mit der nächtlichen Sanierung der Blindlandepiste 16/34. Davon merken unsere Gäste aber nichts.

Diese Woche hätte der von Unique betriebene Flughafen Bangalore eröffnet werden sollen. Warum verzögert sich die Einweihung?
Wir wären parat gewesen. Bereits am 7. März haben erfolgreiche Flüge mit Passagieren stattgefunden. Die indische Luftfahrtbehörde konnte die Ausbildung der Luftverkehrsleiter aber nicht rechtzeitig abschliessen (siehe Kasten, Red.).

Wollen Sie die Auslandaktivitäten weiter ausbauen?
Ja, absolut. Im Vordergrund stehen nach wie vor die Märkte Lateinamerika, wo wir bei insgesamt neun Flughäfen engagiert sind, und Indien. Osteuropa ist aber ebenfalls ein interessanter Markt, auf dem wir noch nicht vertreten sind.

Die Verdienstmöglichkeiten im Ausland sind bescheiden und die Risiken nicht zu verachten. Was sind die Gründe für diese Auslandengagements?
Wir investieren relativ wenig Geld. Würde sich das für uns nicht als rentabel erweisen, würden wir es nicht tun. Die Nachfrage nach Infrastrukturanlagen und vor allem nach Know-how für deren Betrieb ist weltweit steigend. Wir nutzen dabei unsere Projekt-Kompetenz, sammeln Erfahrungen und schaffen «Job-Enrichment» für Angestellte. Sie können im Ausland temporär das tun, wofür sie hier angestellt wurden.

Wie sieht es denn aus mit Inlandengagements?
Der Flughafen Zürich bleibt ein Flughafen mit einem sehr prominenten Shoppingcenter. Wir werden aber hier nicht untätig bleiben und im direkt angrenzenden Butzenbüel eine innovative neue Nutzung mit einer direkten Anbindung zum Flughafen realisieren. Mehr können wir dazu aber noch nicht sagen.

Hat Unique ein Interesse an einer verstärkten Nutzung des Flugplatzes Dübendorf?
Wir möchten, dass der Flugplatz Dübendorf wie während des WEF und der Euro 08 für gewisse Auslagerungen genutzt werden kann. Für den Flugbetrieb nach Sichtflugregeln mit Leichtflugzeugen und Helis ist Dübendorf eine sinnvolle Ausweichmöglichkeit für die General Aviation des Flughafens Zürich. Die Nutzung des Flugplatzes durch zivilen oder militärischen Flugbetrieb mit Instrumentenflugregeln hingegen lehnen wir ab. Dadurch würde der Flugbetrieb am Flughafen Zürich tangiert. Über die künftige Nutzung entscheiden aber der Bund und der Kanton Zürich.

«3. Standbein Corporate Development»

Sie sind ein Detailhandelsfachmann, wird jetzt die Geschäftsleitung aufgestockt, um zusätzliches aviatisches Know-how einzubringen?
Nein, es fehlt keineswegs an Know-how. Wir haben ganz klar drei Pfeiler. Die Operations, die Aviatik also, geleitet von Rainer Hiltebrand, dann Marketing und Real Estate mit dem Begegnungs- und Shoppingcenter, das von Peter Eriksson geleitet wird. Diese Bereiche sind hervorragend geführt. Neu befindet sich jetzt für die Auslandprojekte das Corporate Development im Aufbau.

Corporate Development ist neu in der Geschäftsleitung vertreten?
Ja, das ist neu, damit bekennen wir uns klar zu einem dritten Standbein. Unsere Vision lautet: Wir verbinden die Schweiz mit der Welt, empfangen unsere Gäste rund um die Uhr, realisieren Projekte im In- und Ausland, und wir tun dies mit «Swissness». Der dritte Punkt wird jetzt in einem neuen Geschäftsleitungsbereich abgebildet. Über dessen Führung werden wir später informieren.

Sie sind jetzt knapp hundert Tage im Amt, wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf?
Es sind erst gut siebzig. Meine grösste Herausforderung ist der Aufbau der erwähnten Struktur, die uns die Abwicklung von Projekten im In- und Ausland wie Butzenbüel und Bangalore erlaubt.

Das Butzenbüel sehen Sie als symbolisches Projekt für eine neue Stossrichtung im Geschäft?
Ja, es geht hier um das Wachstum ausserhalb des aviatischen Bereiches, und das brauchen wir.

NZZ, 29.03.2008

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