Hooligans ausfliegen. Dies ist nach wie vor das Hauptargument für die Lockerung des nächtlichen Flugverbots während der Fussball-Europameisterschaft. Allerdings droht der Schweiz während der Euro 08 kaum Gefahr von gewalttätigen ausländischen Fans. Die Anhänger der meisten Nationalmannschaften gelten im Vergleich zu Klub-Supportern mittlerweile als Lämmer. Die letzten Ausschreitungen während einer Fussball-EM sind von anno 1980 aktenkundig.
Hinzu kommt, dass die Teams mit berüchtigtem Anhang im kommenden Juni auf ihrer Insel bleiben oder nach Österreich fahren. England und Schottland beispielsweise verpassten knapp die Qualifikation. Deutschland, Polen und Kroatien spielen in der Vorrunde bei den österreichischen Nachbarn. Trotzdem verlangen die Organisatoren des Turniers weiterhin, dass die Schweiz ihre Nachtflugsperre lockert. Die Austragungsorte und die Flughäfen unterstützen diese Forderung. Das Bundesamts für Zivilluftfahrt (Bazl) will nun dem Verlangen nachkommen – und zwar nicht nur für die Turnierdauer, sondern auch darüber hinaus.
«Für bedeutende Anlässe»
Das Vorhaben zur generellen Lockerung des Nachtflugverbots blieb der Öffentlichkeit bisher verborgen. Entsprechende Pläne sind aber weit gediehen. Demnächst befasst sich die Landesregierung mit einem Passus, der die Grundlage für Nachtflüge während der Euro 08 und auch für danach schafft. Bazl-Sprecher Daniel Göring bestätigt: «Der Bundesrat entscheidet in einer der kommenden Wochen über die Lockerung des Nachtflugverbots in Ausnahmefällen aus Sicherheitsgründen.»
Als Ausnahmen kommen beispielsweise auch künftige Partien der Schweizer Nationalmannschaft, Spiele des europäischen Klubfussballs oder Grossanlässe mit internationalem Publikum wie das World Economic Forum (WEF) in Davos in Frage. Zulassen könnte das Bazl Nachtflüge «für bedeutende Anlässe mit internationaler Beteiligung» und «auf Antrag der für die Sicherheit zuständigen Organe oder Behörden nach Anhörung der betroffenen Kantone und Flughäfen».
Nicht an die grosse Glocke gehängt
Geregelt wird dies alles in der angepassten Verordnung über die Infrastruktur der Luftfahrt. Deutschschweizer Kantone mit Flughäfen haben in zwei Vernehmlassungen die Lockerung des Verbots gutgeheissen: Bern, Basel-Stadt und Zürich haben ihre Zustimmung zur Sonderregelung während der Euro 08 öffentlich kundgetan. Nur versteckt oder gar nicht kommuniziert haben sie hingegen, dass sie in Briefen ans Bazl auch die generelle Lockerung des Nachtflugverbots begrüssen.
Die Zürcher Regierungspräsidentin Rita Fuhrer zeigte sich in ihrer nicht publizierten Vernehmlassungsantwort «grundsätzlich einverstanden» mit dem angepassten Nachtflug-Passus. Volkswirtschaftsdirektorin Fuhrer forderte in ihrem Schreiben an Bazl-Direktor Raymond Cron aber auch, die Ausnahmeregelung sei nur anzuwenden, wenn die öffentliche Sicherheit tatsächlich gefährdet sei. Zudem seien die Kantone jedes Mal zu konsultieren.
Mit diesen Forderungen rennt Fuhrer beim Bazl offene Türen ein. Einig sind sich Bund und Kantone zudem in der Frage, dass Prominente nicht von der Nachtflug-Erleichterung profitieren sollten. Alle Seiten betonen, dass die Regelung nicht für Politiker oder Spitzensportler gelte. Auch die Teams bei der Euro 08 müssen nach Abendspielen an den Spielorten übernachten.
Die Massen sind das Problem
Weshalb aber ist den Organisatoren des Europäischen Fussballverbands Uefa und des Bundes sowie den Austragungsorten die neue Regelung so wichtig? Das Problem sind weniger die Hooligans als die Massen. Die nächtlichen Maschinen sollen nach den Spielen möglichst viele Anhänger direkt in ihre Heimatländer bringen.
Dies bestätigt Christoph Neuhaus, Sprecher des Euro-08-Delegierten beim Bund: «Nachtflüge sollen auch möglich sein, um den Transport der zu erwartenden Menschenmengen zu bewältigen.» Starts bis zwei Uhr früh wären mit der neuen Regelung ab Zürich, Bern und Genf möglich. Auch für Basel-Mülhausen, wo die französischen Behörden das Sagen haben, sind während der Euro 08 Nachtflüge vorgesehen. Ab Bern können nur wenige kleine Flugzeuge abheben. Für den nächtlichen Heimflug werden die Fans aus der Bundesstadt wohl nach Zürich ausweichen.
siehe auch:
Eine Meldung die nicht wirklich überrascht (VFSN)
Nachtflüge: Kritik von allen Seiten (TA)
Nachtflugverbot darf nicht durchlöchert werden (Fluglärmforum Süd)
Nur eine Ausnahme bei Nachtflugsperre (TA)
Gegen eine schleichende Aufweichung der Nachtflugsperre (NZZ)
(TA)